Bestiarium
Gebäude auf der Suche. Aber wer immer diese Tat begangen hat, kannte sich im Museum und mit sämtlichen Abläufen darin bestens aus. Der Täter hat die Aktivitäten der Wächter, des Aufsichtsdienstes, des Hausmeisters und des wissenschaftlichen Personals - und das sind eine ganze Menge Personen - und leider auch des Gärtners genauestens beobachtet.«
Die kriminaltechnischen Experten beendeten die Suche nach Fingerabdrücken. Sie fotografierten den Fundort des Toten von allen Seiten und befreiten die Leiche des Gärtners schließlich aus ihrer qualvollen Lage und steckten sie in einen weißen Leichensack, wobei der Knochen oder Stoßzahn oder die Geweihstange - niemand, Simon eingeschlossen, war sich endgültig sicher, um was es sich handelte - an Ort und Stelle blieb.
Sanitäter brachten den Leichensack aus dem Garten hinaus, während Jean-Baptiste Simon den Blick über die Renaissancefassade gleiten ließ und den Nachnamen des Toten laut aussprach: »Hythlodae.«
»Warum kommt mir dieser Name so vertraut vor?«, überlegte er laut.
»Seine Familie ist mit diesem Museum verbunden, seit es existiert«, sagte Fabritius Cadiz. »Ich kann mir kein Motiv für einen solchen Mord vorstellen. Selbst wenn der Gärtner den Täter bei einem Diebstahl erwischt haben sollte. Dieser Knochen ergibt keinen Sinn.«
»Stammt er aus der Sammlung?«
»Das wird der Direktor sagen können«, meinte Cadiz.
»Wir müssen eine DNA-Analyse durchführen«, entschied Simon. »Und zwar sofort.«
»Aber an der Identität des Gärtners gibt es doch nicht den geringsten Zweifel«, meldete der Nachtwächter sich zu Wort.
»Ich spreche von der Mordwaffe«, sagte Simon.
Inspektor Le Bons Mobiltelefon klingelte. Es war ein anderer Ermittler, der noch draußen auf den Docks tätig war. Le Bon nahm die Information entgegen, dass eine bestimmte Überwachungskamera festgehalten hatte, wie zwei Autos den Parkplatz nacheinander mit einem zeitlichen Abstand von circa drei Minuten um genau 3 Uhr 03 und 3 Uhr 06 in schneller Fahrt verlassen hatten. Die Kamera hatte auch die Ankunft der beiden Autos einige Stunden vorher am Abend des Vortages verzeichnet. Beide Fahrzeuge waren an ihrer äußeren Form zu erkennen.
Le Bon sah den Nachtwächter fragend an. »Fährt irgendwer vom Museumspersonal einen Studebaker?« Es war in diesen Zeiten ein höchst ungewöhnliches Gefährt. »Oder einen Postwagen?«
»Ja, es gibt einen Studebaker. Er gehört dem Gärtner.«
»Ich meine, er hat ihn kaum einmal gefahren. Es ist ein 1953er Commander Starliner. Ein wunderschönes Fahrzeug. Er hat ihn mir zweimal für eine kurze Spritztour überlassen. Ich glaube, er erwähnte mal, dass er ein paar Blocks von hier geparkt sei. Vor dem Haus irgendeines Verwandten.«
KAPITEL 9
D r. Krezlach wusste, dass das IWS-Labor Blut- oder DNA-Untersuchungen keinesfalls so schnell durchführen konnte, wie die Antwerpener Polizei es sich wünschte. Sie vermutete, dass die Waffe, mit welcher der Gärtner aufgespießt worden war, und Gewebeproben, die man in der Nähe des Containers im Hafen gefunden hatte, von derselben Tierart stammten, aber um letzte Gewissheit zu erhalten, müssten die Proben per Overnight Express zu einem auf Wildtiere spezialisierten forensischen Labor in Ashland, Oregon, geschickt werden. Es galt auf diesem Gebiet als das beste der Welt. Falls es sich bei den Proben um Knochensubstanz handeln sollte, würde es schwierig, ihr Alter und die Tierart zu bestimmen. Knochensubstanz hatte gewöhnlich eine profane Struktur, wie man sie bei landwirtschaftlichen Nutztieren antraf, allerdings konnte auch sie entsprechend bearbeitet werden, um eine Waffe herzustellen. Manchmal gab es Gewebespuren, die noch nicht abgestorben waren, aber um sie zu isolieren, musste die Gewebeprobe mit Säure bearbeitet und zerlegt werden. Es war eine Technik der Altersbestimmung, die seit Kurzem auch bei Dinosaurierfunden angewendet, jedoch kaum benutzt wurde, außer von wissenschaftlichen Exzentrikern, die hofften, auf diese Art und Weise ausgestorbene Tierarten oder sogar Neandertaler klonen zu können.
Dr. Krezlach dachte über die wenigen Hinweise nach und ließ vor ihrem geistigen Auge eine ganze Reihe von Möglichkeiten Revue passieren. Sie wusste, dass es nicht selten geschah, dass ein Wildtier sich auf drastische Weise seiner menschlichen Jäger entledigte. Es war recht einfach, Horn von Geweih zu unterscheiden. Walrosselfenbein alterte genauso wie Knochensubstanz, ohne sich
Weitere Kostenlose Bücher