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Bestiarium

Bestiarium

Titel: Bestiarium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tobias
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mich, nicht wahr?«. »Nein. Sollte ich?«, fragte Simon.
    Der Pater lächelte den Polizisten, dessen Dienstabzeichen Aufschluss über seine Position in der Wildtierabteilung bei Interpol und seinen Namen lieferte, väterlich an. »Ihr Akzent, Inspektor, verrät Ihre burgundischen Wurzeln. Simon, das ist doch Ihr Name, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Ihr Großvater hat in unserem Kloster studiert. Ich war einer seiner Lehrer.«
    »Oh?« Woher konnte er das wissen?
    »Ich kann mich vage an ihn erinnern. Er war noch ein Teenager und wusste nicht so recht, was er mit seinem Leben anfangen sollte. Ein sehr ernsthafter junger Mann, aber nicht sehr gut in Latein.« Er blufft. Offensichtlich will er Zeit gewinnen ...
    »Ich erinnere mich. Er wollte Maler werden. Sein Name lautete Henri.« Simon war einigermaßen beeindruckt.
    »Und als er fünfunddreißig wurde, war er tatsächlich Maler, wenn auch nicht besonders erfolgreich, wie ich mich entsinne. Er ging nach Paris.«
    »Was hat er denn gemalt?«, fragte Simon, um ihn weiter zu testen. Bladelin wusste das alles vielleicht nur vom Hörensagen, wer weiß, von wem. Die Szene war sehr klein.
    »Kühe. Er malte Kühe. Wunderschöne Kühe. Ich besitze sogar eine davon.«
    »Das soll wohl ein Witz sein.«
    »Ich schenke sie Ihnen. Ein reizendes kleines Gemälde. Wie geht es ihm?«
    »Er ist leider vor ein paar Jahren gestorben. An Leukämie.«
    » Je suis si désolé.«
    Hubert Mans wartete. »Was haben Sie vor, Jean?« Simon hatte bereits seine Entscheidung getroffen.
    »Sie laufen lassen.«
    Pater Bladelin wusste, dass er sich einige Pluspunkte ergattert hatte, aber reichten sie aus, um den Inspektor vollkommen für sich und seine Sache zu gewinnen? Für nichts Geringeres als ein Geheimnis, das nicht offenbart werden durfte? Für eine Strategie, die gegen die Gesetze verstieß? Außerdem konnte der Pater nicht erkennen, ob dieser gebürtige Burgunder, dessen Großvater er die Historia Lausiaca von Palladios — die Geschichte der Asketen aus dem 5. Jahrhundert — gelehrt hatte, mehr wusste, als dass Wilderer unbefugt das Anwesen betreten hatten. Benedikt war der Name, den fünfzehn Päpste wie auch der derzeitige gewählt hatten. Seine Regeln hatten seit tausendfünfhundert Jahren das Verhalten der der Nächstenliebe verpflichteten Christen bestimmt. Aber oben auf dem Hügel lagen mehrere tote Männer, und man konnte nicht davon ausgehen, dass Inspektor Simon wirklich begriff, was hier vor sich ging.
    Mans musterte stirnrunzelnd seinen Partner.
    Simon wandte sich wieder an Bladelin. »Was hat es zu bedeuten, dass eine Gruppe von Mönchen sich so kriegerisch verhält?«
    »Es ist eine kleine Geste. Wir erhoffen uns das Gleiche von unseren Nachbarn für den Fall, dass das Kloster jemals bedroht wird.«
    »Welches Kloster?«
    »Es gibt in dieser Region mehrere, wie Ihnen zweifellos bekannt sein dürfte. Alle sind sehr eng mit Cluny verbunden.«
    »Dies hier sind internationale Verbrecher, Pater, keine Freizeitjäger, die außerhalb der Saison ein Wildschwein oder einen kapitalen Hirschen schießen wollen.«
    »Das wissen wir.« Bladelin sah Simon mit unerbittlich dreinblickenden babyblauen Augen und dem Ausdruck eines von Rembrandt geschaffenen Heiligen im Halbdunkel an.
    »Ist das hier so etwas wie ein privater Zoo? Steckt dahinter vielleicht ein der Kirche freundlich gesonnener großzügiger Spender?«
    »Gott weiß genau, was er tut.« Bladelin deutete auf den Wald.
    Plötzlich ertönte das Heulen eines Wolfs irgendwo im Tal.
    Simon schaute zu Mans, der ihn mit offenem Mund anstarrte. Soweit sie beide wussten, hatte sich bisher kein Iberischer Wolf bis nach Burgund verirrt.
    »Sehen Sie.«
    Beide Männer schwiegen.
    »Was sollen wir sehen?«, fragte Simon dann.
    »Gott spricht durch jede Kreatur.«
    »Was sagt er? Gott, meine ich. Oder der Wolf, wenn Ihnen das lieber ist.«
    »Er sagt: ›Lasst uns in Ruhe. Lebt und lasst leben.‹«
    Simon hatte nicht die Absicht, diesem überraschend leistungsfähigen Team zweier Gladiatoren und Mönche, denen es gelungen war, einen der Übeltäter festzusetzen, irgendwelche Schwierigkeiten zu machen. Außerdem hatten sie es offensichtlich geschafft, ihre Schützlinge vor Schaden zu bewahren. Die Käfige waren leer. Er empfand allmählich sowohl eine gewisse Bewunderung für sie als auch ein eigenes Bedürfnis, diesen Ort zu schützen.
    »Was ist mit den anderen?«, fragte Simon.
    Pater Bladelin musterte den Polizisten und versuchte zu erkennen,

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