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Bestiarium

Bestiarium

Titel: Bestiarium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tobias
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was in seinem Inneren vorging. Ähnelte er seinem Großvater? War er bereit, sich für die Rettung des Waldes und seiner Bedeutung einzusetzen, die er im Laufe der Jahrtausende gewonnen hatte? Bladelin betrachtete es vielleicht gar nicht als eine Insel des Pleistozän, doch er wusste, dass es etwas Isoliertes war, das die Große Flut überlebt und all diesen Tieren, die sich auf dem vereisten europäischen Kontinent nirgendwohin hatten zurückziehen können, eine sichere Zuflucht geboten hatte. Sie hatten die Zeiten überdauert, unschuldig, ohne Streitigkeiten oder Konkurrenzkämpfe. Die Autoren der Bibel, unter ihnen auch die Propheten Matthäus und Jesaja, hatten Legenden von diesem wilden, unberührten Fürstentum gehört und hatten sich auf die Berichte der frühesten Reisenden gestützt.
    Sogar damals, vor dreitausend Jahren, hatte jeder, der sich eingehender damit befasste, den Ort auf der Landkarte verschoben, vorwiegend nach Fernost, in den Himalaja, nach Ceylon oder in den Süden Abessiniens. Marco Polo bestand auf dem Karakorum. Shelley, der sich während seines turbulenten Exils in Frankreich mit Mary Shelley und Claire Clairmont zwei Tage lang dort aufgehalten hatte, verlegte den Ort in das Kaschmirtal, da er das Geheimnis nicht preisgeben wollte.
    »Sie sind fort«, erklärte der Pater.
    »Fort oder tot?«
    »Fort. Für immer.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Ja.«
    »Wir haben hier kein Mobilfunknetz«, sagte Mans. »Wir müssen diesen Kerl offiziell in Gewahrsam nehmen.«
    »Richtig.« Dann wandte Simon sich an Bladelin. »Es ist möglich, dass ich später noch einige Fragen an Sie habe.«
    »Ich bin in Cluny. Fragen Sie nach Pater Bladelin.«
    »Wo stehen Ihre Wagen?«
    »Wir sind zu Fuß gekommen.«
    Während die beiden örtlichen Polizisten, gefolgt von Simon und Mans, mit den beiden Streifenwagen losfuhren, beobachtete Simon, wie der alte Mann im Wald verschwand.
    »Was halten Sie von denen?«, fragte Mans.
    »Verrückte alte Mönche«, meinte Simon.
    Aber er war in Gedanken ganz woanders und versuchte, all die alltäglichen Pflichten und Aufgaben seines Berufs nüchtern zu betrachten: die internationalen Abkommen und Allianzen zum Wildtierschutz, die schon frühzeitig aufgestellten Richtlinien bezüglich des Schutzes von Vögeln und Biotopen und jenen wenigen Besonderheiten innerhalb des globalen Ökosystems wie zum Beispiel den Zapovedniks der ehemaligen Sowjetunion — Wildtierreservaten, die sich selbst überlassen wurden und sich in einem Zustand dem menschlichen Einfluss entzogener evolutionärer Isolation befanden, welche den Bestand langer Abstammungslinien gewährleistete. Dort wurden nicht wie im restlichen Europa regelmäßig Bäume gefällt, und es wurde kein Totholz entfernt. Diese Schutzzonen waren für die Öffentlichkeit gesperrt und wurden nur selten von Wissenschaftlern besucht.
    Es war nichts dagegen einzuwenden, dass dieses Anwesen, das sich um das Château erstreckte, weiterhin seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten und der schützenden Obhut von Benediktinermönchen überlassen wurde, zu denen offensichtlich sogar sein eigener Großvater gehört hatte.
    Er müsste jedoch irgendetwas wegen der beiden Toten unternehmen. Wer waren sie? Was war geschehen? Was würde passieren, wenn die Polizei hier anrückte — womit nach Simons Anfrage in Bezug auf die Ortung der von ihm verfolgten Personen mit Sicherheit zu rechnen war?
    Er hatte nicht den geringsten Zweifel, dass es mit diesem Wald etwas ganz Besonderes auf sich hatte, wenn man sich die tausendfünfhundert Jahre währende benediktinische Tradition intensiven Schutzes vor Augen hielt.
    Ein Dodo. Ein Einhorn. Wölfe ...
     
    »Luis? C'est moi«, sagte Margaret.
    »Ah, Madame Olivier.« Er schüttelte ihr die Hand.
    »Mein Ehemann, Martin.«
    »Sehr angenehm.«
    Margaret ging mit den beiden Männern zu einer Bank im hinteren Teil der Kirche. Sie setzten sich, Martin holte den alten Schlüssel hervor und reichte ihn seiner Frau.
    »Erkennen Sie ihn?«, wollte sie von Adornes wissen.
    Luis Adornes nahm den Schlüssel in die Hand, studierte ihn eingehend und schüttelte dann den Kopf. »Nein. Er ist sicherlich alt, vielleicht 17. Jahrhundert. Was ist damit?«
    »Wir hatten gehofft, dass Sie uns das verraten können«, seufzte sie.
    Luis Adornes lächelte. Er hatte nicht die geringste Ahnung.
    »Gibt es im Museum irgendwelche Bücherschränke mit einem Schloss, zu dem dieser Schlüssel passen könnte?«, fragte Martin.
    »Das ist ein

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