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Bestiarium

Bestiarium

Titel: Bestiarium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tobias
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Welt, was wohl irgendwie mit ihrer direkten Umgebung zu tun hatte, die bei jedem, der sie in Augenschein nahm, ein leichtes Schwindelgefühl auslöste, jedoch nicht wegen der Höhe der Kirche, sondern wegen der Geschichte.
    »Okay. Telefonbuch, in der Tischschublade da drüben.«
    Martin reichte es ihr, und sie blätterte suchend darin.
    »Ich hab's.«
    Sie wählte die Nummer und hörte eine Kinderstimme. Sie fragte das Mädchen, ob sein Vater zu Hause sei.
    Der Telefonhörer wurde fallen gelassen, landete polternd auf einer Tischplatte, und eine ferne Stimme rief: »Papa!«
    Dann, nach einem Rascheln, ein atemloses: »Ja bitte?«
    »Luis? Luis Adornes?«
    » Ja?«
    »Hier ist Margaret Olivier aus London. Tut mir leid, dass ich Sie privat belästige. Ihr Büro ließ zwar verlauten, Sie nähmen an einer Konferenz teil, aber ich dachte, ein Versuch würde sich lohnen.«
    »Ms. Olivier, natürlich. Wie geht es Ihne?«
    Sie unterhielten sich kurz, und er erklärte sich sofort bereit — auch wenn er nicht ganz verstand, weshalb —, sie an einem vereinbarten Punkt zu treffen. Aus Adornes' Sicht konnte Margaret Olivier sich nur wegen irgendeiner bedeutenden Entdeckung oder im Zuge wichtiger geschäftlicher Erkundigungen in Brügge aufhalten.
    Martin und Margaret gingen an einem Kanal entlang zur Mariastraat, vorbei am immer noch aktiven Beginenkloster, an der hippen Wijngaardplein mit ihren zahlreichen Coffeeshops und Souvenirläden und an der Genueser Loge aus dem 15. Jahrhundert und gelangten schließlich zur ergreifend schönen Liebfrauenkirche.
    Sie gingen hinein, wo Luis sich mit ihnen vor dem Löwen und dem Hund treffen wollte, die die Gräber des berühmtesten Vaters und der berühmtesten Tochter der Stadt bewachten: Maria von Burgund in ihrem bemalten Sarg, in dem sich angeblich auch eine Schatulle mit dem Herzen ihres Sohnes und ihres Vaters, Karls des Kühnen, Herzog von Burgund, befand.
    Es war Viertel nach sechs Uhr abends, und die Kirche wurde noch immer von Touristen bevölkert, die nicht müde wurden, ihr Inneres zu fotografieren.
     
    Jean-Baptiste Simon hatte die beiden Leichen an Ort und Stelle liegen lassen und war durch die Tore und Sperren zu einer Landstraße vorgedrungen. Von dort brauchte er weniger als zwanzig Minuten bis zum Schauplatz des chaotischen Geschehens. Er hatte die Gewehrschüsse gehört und angenommen, dass die französische Polizei sich mit den Wilderern ein Gefecht lieferte. Nun hingegen wusste er nicht, wie er den Anblick, der sich ihm bot, interpretieren sollte: neun alte Männer, ausgerüstet mit einer merkwürdigen Ansammlung offenbar uralter Waffen, standen im Wald und hielten seinen Partner Hubert Mans und die beiden Polizisten in Schach, die ihn früher an diesem Morgen von der Straße aufgelesen hatten.
    Im Polizeiwagen saß, mit Handschellen gefesselt, ein bärtiger Mann Anfang vierzig. Und in der Nähe standen mehrere SUVs, alle leer.
    Simon richtete seine Pistole auf die Gruppe.
    Der älteste der Kämpfer sprach ein Französisch, dessen Akzent unverwechselbar war. Simon wusste aus seiner Kindheit, dass es sich um einen alten Dialekt handelte, wie er im ländlichen Burgund benutzt wurde.
    »Was wollen Sie?«, fragte er. Er bemerkte, dass zwei der Männer Waffen aus einer anderen Epoche bei sich hatten. Einer hatte einen Speer in der Hand und trug ein Schwert an der Seite, ein anderer vertraute offenbar auf ein Kriegsbeil. Wer waren diese Leute? Wochenendkrieger in mittelalterlichen Kostümen, die verbotenerweise nach alter Sitte Wildschweine jagten, von der Polizei geschnappt worden waren und diese dank ihrer Überzahl überwältigt hatten? Die Wilderer in Frankreich waren gewöhnlich ein arrogantes Volk und nutzten jede Gelegenheit, ihrem illegalen Hobby zu frönen, ohne die geringsten Gewissensbisse zu haben, da sie die Jagd als ihr verbrieftes Recht betrachteten. Die meisten Franzosen würden dem nicht widersprechen. Jäger, ganz gleich, ob sie Wilderer waren oder nicht, nahmen für sich die gleichen Rechte in Anspruch wie Bauern. Niemand kam auf die Idee, sie zu kritisieren.
    »Lassen Sie Ihre Waffe fallen!«, rief der alte Mann aus einer Entfernung von gut fünfzig Schritten.
    Simon würde vielleicht einen gezielten Schuss anbringen können, möglicherweise auch noch einen zweiten, aber er konnte erkennen, dass sein Partner und die beiden Polizisten bereits entwaffnet worden waren. Gegen neun Mann waren seine Chancen verschwindend gering. Es würde Tote geben.
    »Wer

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