Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)
Kaufhaus eingeschlagen hatte, um an eine Flasche Rum heranzukommen. Nie zuvor hatte dieser Mann einen Einbruch begangen. Er hatte gebettelt, war ständig betrunken, aber er hatte noch nie eingebrochen. Im anschließenden Gespräch erläuterte er mir, dass der Winter besonders kalt wäre, er in seinem Leben keinen Sinn mehr sehe und er nur deshalb die Scheibe eingeschlagen habe, um für längere Zeit ins Gefangenenhaus zu kommen. Er teilte mir auch mit, dass er das Lebensdogma aller Unterstandslosen kläglich vernachlässigt habe. „Man muss zu betteln beginnen, bevor man den letzten Schluck getrunken hat.“ Mit anderen Worten: Man hat Vorsorge zu treffen, bevor man dazu nicht mehr in der Lage ist.
Was aber, wenn in die gleiche Situation jemand gerät, der diese Lebensphilosophie nicht kennt? Was ist, wenn jemand einen Banküberfall begeht, um die Aussichtslosigkeit seines Lebens zu unterstreichen? Um erst dadurch einen Anlass zu haben, sich selbst zu verabschieden? Was war nun das Verhalten? Was war nun das Bedürfnis? Wir alle nahmen fälschlicherweise an, dass der Postamtsüberfall das Verhalten und die Bereicherung das Bedürfnis war. Falsch! Es war der Vergleich mit der Lebensgeschichte des Unterstandslosen, der mich auf den richtigen Gedanken brachte. Es war die Tatsache, dass er sich von der Postangestellten abweisen ließ. Es war sein Verhalten, das mir das darunter liegende Bedürfnis zeigte. Das Verhalten eines Menschen zu ändern, ist kaum möglich. Oder sagen Sie Ihrem erwachsenen Kind, die Beziehung, die es eingegangen ist, sei nicht gut? Ihr Sprössling wird Ihnen nicht glauben, auch wenn Sie ihm die Bestätigung des Bundespräsidenten bringen. Wenn Sie aber erkennen, was das Bedürfnis ist, warum ihr Nachkomme diese Beziehung eingegangen ist, dann können Sie unter Umständen am Rad des Verhaltens drehen, und genau das versuchte ich in diesem konkreten Fall. Ich sprach mit dem Mann nicht über den Banküberfall, sondern über seine Bedürfnisse, warum er seinem Leben ein Ende setzen wollte. Er gab mir nicht nur die Gründe dafür, sondern auch seine Waffe und kam einige Zeit später, nachdem er seine Strafe abgesessen hatte, ins Wachzimmer und bedankte sich dafür, dass ich ihm dabei geholfen hatte, diese Situation zu meistern. Und genau dieser Mann gab mir den entscheidenden Hinweis, meine tausend kleinen Beobachtungen, Gesprächsfetzen und theoretischen Erkenntnisse, psychosomatischen, psychiatrischen, sozialpsychologischen und medizinischen Bausteine wieder aufzunehmen, um für mich das Gebiet der Kriminalpsychologie neu zu eröffnen.
Als ich ihn nämlich fragte, was er getan hätte, wenn er kein Gespräch über die Ursache geführt hätte, gab er mir mit einer eindeutigen Handbewegung zu verstehen, dass er sich in den Kopf geschossen hätte. Es war für mich erleichternd und deprimierend gleichzeitig und als ich ihm in meiner Verlegenheit mitteilte, dass das äußerst schade gewesen wäre, denn dann hätte ich nie erfahren, warum er diesen Schritt getan hätte, meinte er sehr trocken: „Aber Sie hätten es sich denken können. Sie hätten ja gesehen, wohin ich geschossen hätte, in den Kopf, weil ich nicht mehr denken wollte.“
Das war es. Das war der Punkt, nach dem ich immer gesucht hatte, die Maßzahl dessen, woran wir objektiv messen können, welche Entscheidung jemand getroffen hat. Denn jede aktive menschliche Entscheidung beinhaltet in der Regel eine Veränderung in der Umwelt. So grotesk es klingt, aber das Loch in seinem Kopf wäre eine Veränderung in seiner Umwelt gewesen, wie der Rechtsmediziner festgestellt und befunden hätte. Auch begutachten hätte er es können. Das Projektil, das zweifelsohne noch vorhanden gewesen wäre, hätte der ballistische Spezialist einer Waffe zuordnen können und dadurch hätte er, gemeinsam mit dem Rechtsmediziner, die Schmauchspuren an der Hand des Selbstmörders aufgenommen.
Und mit diesen zwei Informationen hätte man einen dritten vermeintlichen Experten fragen können: „Warum hat er sich in den Kopf geschossen?“ Hätte der Experte noch gelebt, hätte er ihnen gesagt, „weil ich nicht mehr denken wollte“ . Er hätte gesagt: „Weil ich nicht mehr denken wollte“ und nicht: „Weil ich nicht mehr leben wollte.“
Es ging also nicht nur darum, all jene bestehenden Klassifikationsmodelle und bestehenden Erkenntnisse der Psychologie nutzbar zu machen. Es galt vor allem, Informationen, Aussagen, Meinungen und Erklärungen von jenen zu
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