Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)
erhalten, die eine bestimmte Entscheidung bereits getroffen hatten.
So würden sich auch ganz außergewöhnliche Verhaltensweisen erklären lassen, wenn man nur genügend viele Menschen findet, die ein gleiches oder halbwegs ähnliches Verhalten bereits gezeigt haben. Messen bedeutet vergleichen. Warum bringt der eine den anderen um, indem er ihn erschießt, der andere sticht wie eine Nähmaschine auf sein Opfer ein und der Dritte ergreift den Hals seines Opfers, blickt ihm dabei noch in die Augen und muss erkennen, dass der Todeskampf eines Gedrosselten manchmal Minuten dauert. Warum lässt der eine sein Opfer einfach liegen und die andere zerschneidet die vermeintliche Nebenbuhlerin in 70 Teile und legt jenen Finger, den ein Ring ziert, welchen der Ehemann der getöteten Frau geschenkt hatte, ostentativ vor die Haustüre? Warum deckt der eine seine Opfer zu, nachdem er 30-mal den Drei-Kilo-Hammer auf die Schädeldecke niedersausen ließ? Warum vergräbt ein anderer sein Opfer, wenn er es auch ganz einfach hätte liegen lassen können? Hätte ich begonnen, diese Entscheidungen aus meiner Erfahrung zu beurteilen, hätte ich auch gleich wieder damit aufhören können. Woher sollte ich es denn auch wissen? Seit diesem Gespräch war es für mich wichtig geworden, zunächst Fakten festzustellen.
11.
Von diesem Moment an war es für mich nicht mehr entscheidend, was jemand sagte, sondern das, was er tat. Und seine aktive Entscheidung konnte man dadurch erkennen, dass man lange genug seine Umwelt danach absuchte. Jeder Mensch hat Gott sei Dank das Recht zu lügen, Dinge beschönigend darzustellen. Aber gerade Leute, die eine strafbare Handlung begehen, zeigen zu einem bestimmten Zeitpunkt ihr wahres Motiv, nämlich dann, wenn sie die Tat oder einfach die Handlung begehen.
Welche Entscheidung trifft der vermeintlich gestresste Manager am Wochenende, der vorgibt, alles doch nur zum Wohle seiner Kinder und seiner Familie zu tun? Finden wir ihn am Golfplatz oder bei seiner Familie? Glauben wir demjenigen, der das Bild seiner Ehefrau im Büro hinter sich an die Wand genagelt hat, wo er es den ganzen Tag nicht zu Gesicht bekommt, dass sie sein Ein und Alles ist, oder ist die Entscheidung, dass die Urlaubsaufnahme mit Freunden den Schreibtisch neben dem Telefon ziert, nicht aussagekräftiger? Es ist nicht entscheidend, was jemand sagt, sondern das, was er tut. Ist nun die vermeintliche Aussage des Partners, das Leben nach zahlreichen Ankündigungen und Entschuldigungen endlich ändern zu wollen, entscheidender oder die Tatsache, dass der Blumenstrauß am Geburtstag die einzige natürliche Freude während eines Jahres darstellt?
Der Fehler meines Ansatzes bestand auch darin, dass ich immer wieder versuchte, das Verhalten aus meiner Sicht zu erklären, ohne nur die geringste Chance dabei zu haben, auf das Bedürfnis desjenigen eingehen zu können, der diese Entscheidung getroffen hatte. Wir können viele Statistiken über Selbstmordraten, geografische Verteilungen und theoretische Ansätze auswendig lernen oder präsentieren, aber kann dieses Wissen auch nur ansatzweise die Erfahrung desjenigen ersetzen, der mit seinem Leben bereits abgeschlossen hatte?
Wir können uns in einem dunklen Raum mathematisch und physikalisch beschreiben lassen, wie eine Kerze brennt, die Umgebungstemperatur, die Geschwindigkeit der warmen aufsteigenden Luft. Wir können die Brenndauer berechnen und die Temperaturen an der Spitze und am unteren Rand des Dochtes messen. Wir können all diese Informationen in Grafiken, in Tabellen darstellen, aber ersetzen sie alle den Anblick eines prasselnden Kaminfeuers auf der Almhütte oder den Anblick des lodernden Flammenmeeres und die überkippenden Schreie der Kinder vor einem brennenden Bauernhaus? Wer weiß mehr über die Psyche eines Pyromanen? Der Techniker oder derjenige, der das Streichholz in der Nähe des Heuhaufens über die Reibfläche zog und es dann fallen ließ?
Die alte Leidenschaft der Feldforschung war wieder da. Nichts war umsonst. Jede einzelne Information konnte nun wichtig sein. Theorie und Praxis. Zu diesem Zeitpunkt war ich überzeugt, dass ich nicht Psychologie studiert hätte, wenn ich nicht bei der Polizei gewesen wäre. Ich wäre aber auch nicht bei der Polizei geblieben, wenn ich nicht Psychologie fertigstudiert hätte. Auf der einen Seite die Gesetze des Lebens auf der Straße kennenzulernen, mit Menschen in Belastungssituationen zu kommunizieren, Tragödien und Schicksale
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