Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)
forensische Wissenschaften war und die Gelegenheit hatte, mit den weltbesten Verbrechensanalytikern zu diskutieren, indem ich einfach den Telefonhörer abhob und ein paar Nummern wählte, wurde mir klar, dass diese einfache Erkenntnis der bedürfnisorientierten Entscheidung anderer Menschen und der Umstand, dass die richtige Interpretation dazu führen könnte, das Verhalten anderer Menschen vorherzusehen, einen Namen hatte: Antizipation.
Menschliches Verhalten vorherzusehen. Eine scheinbar seltene Gabe, die ich bei all den Gesprächen, die ich geführt, und Büchern, die ich gelesen hatte, bisher nur bei drei Menschen in ihrer perfektesten und bei zwei von ihnen in der perfidesten Form nachvollziehbar und beweisbar beobachten konnte.
Jeffrey Dahmer, der in Milwaukee 17 junge Männer umgebracht und deren Leichenteile in seiner ganzen Wohnung platziert hatte, der die manipulierendste Stimme besaß, die ich jemals hörte – er war in der Lage, das Verhalten anderer Menschen vorherzusehen und sogar Polizisten davon zu überzeugen, dass er vollkommen ungefährlich sei, obwohl sie mit einem seiner Opfer sprachen. Dahmer besaß die absolute Machtvorstellung, sich willenlose Sexzombies zu kreieren. Um seine Wünsche in die Realität umzusetzen, suchte er Gay Bars in Milwaukee auf und versprach jungen Burschen Unterkunft, Verpflegung, nette Stunden und lud sie zu sich nach Hause ein. Dort betäubte er seine Opfer mit Getränken, bohrte ihnen, noch im lebenden Zustand, Löcher in den Kopf und füllte heißes Wasser und Säure unter die Schädeldecke, mit der Vorstellung, dass das Gehirn und somit der Wille abstirbt, die Leute jedoch weiterleben. Mag nun auch die Vorgangsweise außerhalb jeglicher nachvollziehbarer Logik stehen – natürlich verstarben alle Opfer nach dieser Behandlung –, war Dahmer dennoch in der Lage, sämtlichen Beschwerden von Nachbarn, die sich über den Gestank aus seiner Wohnung beschwerten, und auch den herbeigerufenen Exekutivbeamten äußerst manipulativ entgegenzutreten. In einem Fall war sogar ein Opfer bereits mit angebohrtem Schädel aus der Wohnung von Dahmer geflüchtet, saß in leicht betäubtem Zustand auf der Straße, als Dahmer dem herbeigerufenen Exekutivbeamten erklärte, er habe mit seinem „Freund“ einen Streit gehabt und es werde auch nie wieder vorkommen. Die Sprache als Waffe zu verwenden. Nicht einen, sondern mehrere Menschen zu täuschen, zu manipulieren, um im Endeffekt dadurch die Möglichkeit zu erhalten, das Bedürfnis anderer Menschen zu erfahren, um sie dadurch auch lenken und leiten zu können, ist eine sehr gefährliche Waffe, ja die schärfste intellektuelle Waffe, die es gibt: Antizipation.
Franz Fuchs, jener Mann, der angeklagt und auch verurteilt wurde, jahrelang die Republik Österreich mit dem Bauen, Verschicken und Platzieren von tödlichen und nicht tödlichen Briefund Rohrbomben in Furcht und Unruhe versetzt zu haben, verfügte ebenfalls über diese Fähigkeit. Er verletzte zahlreiche Menschen und tötete vier Roma mit einer Sprengfalle, die so aussah wie ein Verkehrszeichen. Auf der Tafel, welche auf die Spitze des vermeintlichen Verkehrszeichens montiert war, stand: „Roma, zurück nach Indien!“ Er antizipierte damit das Verhalten, dass erboste Bewohner des Romadorfes dieses Schild beiseite stellen wollten, was zur Auslösung der Detonation und zum Umsetzen von 149 ml verdämmtem Nitroglycerin führte – eine tödliche Waffe.
Er schrieb Dutzende Seiten unter dem Pseudonym einer nicht existierenden Bajuwarischen Befreiungsarmee, manipulierte und antizipierte dadurch, dass sich eine Vielzahl von Experten jahrelang in schier endlosen Diskussionen darum stritt, ob die Bajuwarische Befreiungsarmee tatsächlich existierte oder nur aus einer Person bestand.
Und schließlich William Shakespeare. Er hatte in seinem Königsdrama „Richard III.“ eine Werbungsszene um Anna Neville, die Schwiegertochter von König Heinrich VI., welche frei erfunden war, eingebaut. Dass sich der Herzog von Gloucester, nachmals König Richard III., in dieser Form um Anna Neville überhaupt bemühte, ist historisch nicht verbrieft. In dieser Szene reicht Gloucester Anna Neville sein Schwert und fordert sie auf, ihn zu töten. Anna tut es nicht, obwohl Gloucester den Ehemann von Anna und ihren Schwiegervater eigenhändig umgebracht hat. Welches Motiv braucht jemand, um in jene Situation hineinzukommen, wie es George Bernard Shaw einmal formuliert hat: „Jeder Mensch kann
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