Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)
mich hier und heute mit einem speziellen Glas Tee … ha, lächerlich! Ein Verbrechen, das nicht ungesühnt bliebe. Mein Körper würde obduziert werden, jeder würde feststellen, was passiert war, man würde feststellen, von wem die Thermoskanne, die Teebeutel, der Zucker oder die Löffel waren … lächerlich! Die Sache war so plump, dass sie schon wieder eindeutig war.
Der Haken lag nur an der Eindeutigkeit der Zweideutigkeit. Was hatte er denn zu verlieren? Er saß hier mit allem, was das deutsche Strafgesetz hergab. Die Schwere der Schuld erforderte Sicherheitsverwahrung. Was konnte man ihm denn noch wegnehmen? Die Fernsehzeitung? Ihm für drei Wochen das Telefonieren untersagen? Dann fiel mir die Geschichte von Bob Ressler ein, der mit Edmund Kemper ein Gespräch führte und um 16.30 Uhr auf den Knopf drückte – das Gespräch war beendet –, um den Guard herbeizurufen. Der kam aber nicht.
Ressler drückte wieder und wieder auf den Knopf und irgendwann nach zehn Minuten teilte ihm Ed Kemper, der etwa um einen halben Meter größer war und 130 kg wog, sehr ruhig und sachlich mit, dass jetzt Wachablöse war und der neue Guard zunächst das Essen austeilen würde. Vor 17.30 Uhr sei nicht damit zu rechnen, dass jemand auf sein Klingeln reagieren würde. Ressler nahm diese Information gelassen zur Kenntnis, begann wieder mit dem Gespräch und freute sich sogar darauf, dass er jetzt gezwungen war, etwas tiefer in die Materie einzusteigen, bis ihm Ed die einfache Frage stellte, was er denn davon hielte, wenn er ihm jetzt den Kopf vom Körper herunterdrehen, diesen auf den Tisch legen und damit den Guard um 17.30 Uhr willkommen heißen würde. Bob war von einer Sekunde auf die andere klar, dass es jetzt nicht mehr ein freiwilliges Interview, sondern mehr oder minder schon eine Geiselsituation war, in der er sich befand. Auch er versuchte Kemper davon zu überzeugen, dass es ja keinen Sinn hätte, ihn hier umzubringen, und Ed gab ihm die Antwort. „Was will man mir denn wegnehmen? Andererseits, was glauben Sie, welchen Status ich hier in dieser Justizvollzugsanstalt erreiche, wenn bekannt wird, ich hätte einen FBI-Agenten umgebracht?“
Aber auch diese Geschichte verschaffte mir nur kurzzeitig Erleichterung, weil ich wusste, dass Ressler noch lebte und Kemper ihm kein Haar gekrümmt hatte. Den Tee hatte ich getrunken, sogar drei Schalen davon. Ich bewegte meine Zehen und stellte fest, dass sie sich kühl anfühlten. Kein Grund zur Beunruhigung, dachte ich. Ich hatte mich längere Zeit nicht bewegt, die Heizung im Auto von Gunther Scholz war ausgefallen, doch dann fiel mir eine andere Geschichte ein.
27.
Elfriede war als Schwarze Witwe in die Kriminalgeschichte Österreichs eingegangen. Sie war im Verdacht gestanden, mehrere alte Männer durch die Vergabe eines Giftes ins Jenseits befördert zu haben: aus persönlichen und Bereicherungsmotiven heraus. So hartnäckig sie im Gerichtssaal auch die Vorgangsweise leugnete, obwohl die Rechtsmediziner und Toxikologen eindeutige Spuren in den exhumierten Leichen feststellen konnten, so offen und ehrlich sprach sie über einzelne Details in sehr persönlichen Gesprächen darüber. Sie habe den alten Männern ein Gift gegeben, von dem sie gewusst habe, dass es etwa eine Stunde dauern würde, bis es wirkt. Sie wusste auch, dass den Opfern sehr kalt sein würde, daher hatte sie rechtzeitig eine Decke vorbereitet. Um ihrem persönlichen Bedürfnis der verbalen Vergeltung nachzukommen, hatte sie den Umstand ausgenützt, dass zwar die Wahrnehmung durch das Gift nicht beeinträchtigt war, dass aber die Opfer nicht mehr in der Lage waren, zu sprechen oder ihre Gliedmaßen zu bewegen. Sie schilderte, wie sie ihre Opfer auf Stühle vor den Heizkörper hinsetzte, in Decken einhüllte, weil sie wusste, dass ihnen kalt war. Sie selbst nahm vor den Sterbenden Platz und begann ihr grauenhaftes Plädoyer über Hilfe und Mitleid, über ihre Gefühle in den zurückliegenden Jahren und die Demütigungen, die sie ertragen hatte müssen.
Sie beschimpfte die Opfer nicht und gab damit zu verstehen, dass sie zum Zeitpunkt des Todes weder Schuldgefühle noch Mitgefühl hatte – ganz im Gegenteil.
„… etwa eine Stunde …“
Natürlich begann ich plötzlich zu frösteln, die Kälte stieg langsam von den Zehen in die Beine und ich beobachtete mich selbst, wie ich meinen Körper immer stärker an den Heizkörper presste, der hinter mir war … für die Dauer von zwei Monaten … Wären es
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