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Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Titel: Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Müller
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nach Tallahassee in Florida umgebracht hatte, Bill Hagmaier, jenen großartigen Verbrechensanalytiker des FBI, zehn Jahre warten lassen, bis er mit ihm sprach? Hagmaier hatte bei ihm vorgesprochen und wollte mehr Details in Erfahrung bringen. Aber Bundy hatte ihm lediglich eine Methapher mitgegeben.
    „Hagmaier, du kommst mir vor wie ein Fischer. Wenn du deine Angel ins Wasser wirfst und keine Zeit hast, wirst du einen kleinen Fisch fangen. Wenn du aber geduldig bist und deine Angel etwas tiefer sinkt, wirst du vielleicht einen größeren Fisch dein Eigen nennen können. Wenn du aber sehr, sehr lange wartest, dann sinkt deine Angel bis auf den Grund – dorthin, wo die wirklich großen Fische zu Hause sind, und einer dieser großen Fische bin ich. Also wirst du auch Zeit haben müssen.“

    Hagmaier wartete zehn Jahre beständig, wurde halb wahnsinnig bei den Vorgaben, die ihm Bundy immer wieder entgegenschleuderte, aber schlussendlich sprach er mit ihm. Selbst dann gab ihm Bundy immer nur drei Möglichkeiten an, wie es denn gewesen sein könnte. Bundy gestand nie ein einziges seiner Verbrechen, aber er übte Macht dadurch aus, dass er Hagmaier warten ließ.
    War ich nicht schon selbst in eine derartige Situation geraten, als mich Jack Unterweger warten ließ? In jenem ominösen Gespräch, das ich mit dem Versuch begann, ihn auch nur kurze Zeit auf meine Seite zu ziehen, indem ich vorgab, als Tiroler in Wien keinen guten Stand zu haben. Nach mehreren Stunden Gespräch, um 15.30 Uhr, war der verantwortlich diensthabende Wachoffizier gekommen und hatte mir mitgeteilt, dass die Besuchs- und Gesprächszeit beendet wäre. Aber er teilte mir gleichzeitig mit, dass, wenn ich noch weitersprechen wollte, es einen Stock tiefer eine Journaldienstzelle geben würde, wo ich das Gespräch mit Herrn Unterweger weiterführen könnte. Man ist bei solchen Gesprächen immer gut beraten, solche Entscheidungen den anderen, den verurteilten Tätern zu überlassen. Unterweger war damit einverstanden. Ich fragte ihn dann nach der Logistik. Er sagte, dass ich außerhalb des Zellentraktes einen Stock hinuntergehen sollte und er würde sich innerhalb des Zellentraktes hinunterbewegen, wir würden uns exakt einen Stock tiefer in der gleichen Position wiederfinden. Ich tat, was er sagte.
    Etwa fünf Minuten später saß ich in der Journalzelle und wartete. Wieder einmal wartete ich. Es wurde 15.45 Uhr, 16.00 Uhr, es wurde 16.15 Uhr. Die Uhr tickte. Ich starrte aus dem vergitterten Fenster und wischte zum wiederholten Male die Tischplatte vor mir ab. Ich dachte zunächst über die Gesprächsinhalte nach, die ich mit Unterweger bereits besprochen hatte, machte mir die eine oder andere Notiz und als um 16.30 Uhr noch immer niemand da war, begann ich etwas tiefer in dem Gespräch herumzugraben. Ich dachte noch einmal über seine Augenhaltung nach, über Details, die er mir über mögliche Motive gab, er könne es mit Sicherheit ja nicht sagen, er sei ja unschuldig … Es wurde
    17.00 Uhr. Selbst wenn Jack Unterweger auf dem Weg einen Stock tiefer in seiner Zelle vorbeigeschaut, die Toilette besucht, die eine oder andere Tätigkeit verrichtet hatte, er müsste schon längst hier sein.
    Es wurde 17.30 und 18.00 Uhr. Meine Aufzeichnungen waren fertig und ich begann mir ernsthaft Überlegungen darüber zu machen, ob ich einfach aufstehen sollte und gehen. Aber irgendetwas hielt mich zurück, vielleicht die Erinnerung an die Geschichte von Bundy. Vielleicht die strengen Instruktionen, die wir immer wieder bekommen hatten in den Staaten, wenn wir Gespräche führten, die Ausbildungshinweise – ich blieb. Ich blieb bis 18.30, bis 19.00 Uhr – und um 19.15 Uhr tauchte ein frischer und strahlender Jack Unterweger in der Journaldienstzelle auf.

    Zweifelsohne wäre es für ihn der größte Sieg gewesen, wenn ich ihm mitgeteilt hätte, wie unmöglich sein Verhalten gewesen war, mich hier dreieinhalb Stunden warten zu lassen. „Herr Unterweger, das war jetzt gut. Sehr, sehr gut.“ Sein Gesicht verfinsterte sich etwas und er sagte: „Schon recht. Reden wir einfach weiter.“ Was hat er getan? Er hat Macht ausgeübt. Als Untersuchungshäftling in einem staatlichen Gefängnis Macht über jemanden ausgeübt, der jederzeit etwas anderes tun könnte, indem er mich einfach warten ließ.
    Warum sollte sich Lutz Reinstrom also jetzt vorbeugen und mir tief in die Augen blicken und mir einen Hinweis darauf geben, was er weiß? Ich konnte es aber auch nicht von

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