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Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Titel: Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Müller
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klassifiziert. Es wurden alle Spuren verfolgt, die Lebensgeschichten beider Opfer durchleuchtet, nach Parallelitäten gesucht, aber es stellte sich für die Kriminalisten immer wieder eine Frage: Was ist das Motiv? Was geht in einem Kopf vor, der innerhalb weniger Stunden zwei Frauen tödlich verletzt? Besteht nicht die große Gefahr, dass er es wieder tun wird?
    Der Leiter dieser Kommission war Peter Stettler, wohl einer der besten Kriminalisten, die ich im Laufe meiner beruflichen Karriere kennengelernt habe: besonnen, ruhig, umsichtig und auch neueren Dingen gegenüber aufgeschlossen. Im Zuge einer Besprechung mit der Kripoleitung wurde ihm angeboten, den kriminalpsychologischen Ansatz überprüfen zu lassen, indem man einen österreichischen Kriminalpsychologen beiziehen würde. Peter Stettler kannte mich und ich ihn. Wir hatten uns während einer Ausbildungseinheit kennengelernt und ich erinnere mich an jenes Lob, das größte, das ein Außenstehender von einem Kriminalisten erhalten kann. Peter Stettler teilte mir nach einer intensiven Ausbildungswoche lächelnd mit, dass er nun langsam beginne, mich zu hassen, weil ich ihm Tag für Tag aufs Neue aufzeige, dass man gewisse Dinge auch anders sehen könne. Eine Anerkennung, die mir zur Ehre gereichte. So erhielt ich nach Zustimmung von Peter Stettler in der Nacht vom 3. auf den 4. August einen Anruf aus Bern, mit der Bitte, mir die Tatorte anzusehen und als zusätzliches Hilfsmittel zu agieren. Bereits auf der Fahrt von Wien nach Bern kontaktierte ich Bob Ressler, der zu diesem Zeitpunkt in Mexiko weilte, um im Auftrag der mexikanischen Regierung einen sehr komplexen Fall einer dreistelligen Anzahl von Tötungsdelikten an jungen Frauen zu bearbeiten. Ich informierte ihn kurz über mein Vorhaben, nach Bern zu fahren, und teilte ihm die ersten objektiven Kriterien mit. Zwei Delikte an jungen Frauen, offensichtlich wahllos ausgeführt, keine Täter-Opfer-Beziehung, mit teilweise planenden Komponenten, indem der Täter bei beiden Delikten die Tatwaffe, also das Messer, zum Tatort mitbrachte und auch von dort wieder entfernte, andererseits wiederum relativ ungeplant und chaotisch vorging, indem er beide Opfer scheinbar motivlos niederstach und in einem Fall durch zwei gezielte Schnitte auch tötete.

    Wir erinnerten uns beide an einige Interviews, die wir in der größten Maßregelvollzugsanstalt Europas in Eickelborn in Lippstadt geführt hatten. Dort hatten wir seit Jahren im Zuge unseres Ausbildungsprogramms immer wieder Gespräche mit jenen „Spezialisten“ geführt, welche uns derart außergewöhnliche Verhaltensweisen etwas genauer erklären konnten. Entgegen der allgemeinen kriminalistischen Meinung werden Opfer solcher Tötungsdelikte nicht nach Größe, Gewicht, Alter, Geschlecht und Haarfarbe ausgesucht, sondern nach einem ganz anderen Kriterium, nämlich nach einer subjektiven Risikoeinschätzung des Täters. Welches Risiko gehe ich als Täter ein, an einem bestimmten Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt ein ganz bestimmtes Verhalten zu zeigen? Beide Opfer waren gegen Mitternacht in vollkommener Dunkelheit das bestimmte Risiko eingegangen, alleine unterwegs zu sein. Nun gelten Bern und auch seine Vororte als relativ sicheres Gebiet, aber aus subjektiver Sicht des Täters waren die Örtlichkeiten und die Zeitpunkte als ideal anzusehen. Es regnete. Es war dunkel. Er selbst muss mobil gewesen sein, sonst wäre er nicht so rasch von einem Ort zum anderen gekommen, wiewohl die Entfernung nicht einmal zwei Kilometer betrug.
    Nachdem ich in den frühen Morgenstunden in Bern eingetroffen war, ersuchte ich die Leitung, allen voran den stellvertretenden Kripokommandanten Thomas Sollberger, einen Mann mit blitzendem Verstand und der intellektuellen Fähigkeit, Wichtiges von Unwichtigem rasch und sauber zu trennen, all jene objektiven Tatbestandsmerkmale zur Verfügung zu stellen, die bis zu diesem Zeitpunkt bekannt waren. Geografische Informationen, Tatortbilder, Befunde der einschreitenden Rechtsmediziner, toxikologische Erkenntnisse über die Opfer, biografische Daten – also mehr oder minder alles, was messbar und wiegbar war. Ich ersuchte um die Gelegenheit, die einzelnen Tatorte zu besichtigen, und machte mich mit der Gegend vertraut.
    Nun begann die eigentliche Arbeit, aus all diesen Informationen die Entscheidungen herauszuholen, und das Erste, was ich Peter Stettler mitteilte, war, dass die Kriminalpsychologie niemals ein Verbrechen klären oder lösen kann.

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