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Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Titel: Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Müller
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Ich kann keinen Täter präsentieren, ich kann nur versuchen, Fragestellungen zu beantworten, die aus Sicht der Kriminalistik vorab als nicht beantwortbar erscheinen. Ich werde versuchen, ein Motiv darzustellen, die Antwort auf die Frage nach dem Warum zu geben, unter Umständen auch zu zeigen, wie es dem Täter vor, während und nach der eigentlichen Deliktsdurchführung ergangen ist, was ihn bewegt und was ihm gleichgültig ist, wo seine Stärken und wo seine Schwächen sind. Das erschien in diesem Fall besonders wichtig, wo die Gefahr in einer eskalierenden medialen Information lag.

    Als externer Experte ist man in solchen Fällen immer nur Gast und man sollte tunlichst darauf achten, das Gastrecht nicht zu missbrauchen. Ich wurde eingeladen, an den Sitzungen teilzunehmen. Mir wurden Erhebungsergebnisse ebenso mitgeteilt wie sekundäre menschliche Schicksale, die sich automatisch ergeben, wenn zahlreiche Kolleginnen und Kollegen oft tage- und wochenlang intensiv miteinander zu arbeiten haben. Eine besondere Rolle gemäß der kantonalen Strafprozessordnung spielte in diesem konkreten Fall der leitende Staatsanwalt Gottfried Aebi, der zunächst etwas kritisch schien, aber in zunehmendem Maße die einzelnen Disziplinen der Kriminalistik, der Rechtsmedizin, der Kriminalpsychologie gewähren ließ und die Kanäle der Kommunikation durch seine juristische Verantwortung nicht nur weiter öffnete, sondern auch förderte.

31.

    Die Methode der Tatortanalyse versucht zunächst das Gesamtverhalten aufzudröseln, einem Schiffstau gleich, um schlussendlich die einzelnen kleinen Fasern zu erhalten, die in ihrer Gesamtheit das Verbrechen charakterisieren. Es sind diese Dutzenden Einzelentscheidungen, die, für sich alleine betrachtet, keine Aussage über das Motiv zulassen. Die Gesamtheit ist aber immer mehr als die Summe der Einzelheiten. Daher ist es notwendig, das Gesamtbild aufzubrechen und die einzelnen Bausteinchen, also die Einzelentscheidungen, vielen anderen Fällen gegenüberzustellen. Ist das Gesamtverhalten definiert, da es mit anderen Fällen verglichen wurde, konnten zu einzelnen Entscheidungen Aussagen von anderen Personen, die dieses Verhalten schon einmal gezeigt haben, festgestellt und einbezogen werden, dann gilt eine Tatortanalyse als abgeschlossen. Die Schlussfolgerungen, die man daraus ziehen kann, die also den Nutzen für die Kriminalisten ausmachen, sind vielfältig.
    Zum einen geht es um konkrete Ermittlungsansätze, ein zusätzliches Hilfsmittel für die Kriminalisten zu geben, wo und unter welchen Voraussetzungen der Verdächtige vielleicht zu finden wäre. Diese Ermittlungsansätze beziehen sich hauptsächlich auf die geografische Kenntnis des Täters. Ist er als Reisender anzusehen, der zufälligerweise durch Bern durchgekommen ist, oder ist aufgrund einer „richtigen“ Risikoeinschätzung des Täters eher davon auszugehen, dass er die Gegend sehr gut kennt? Demgemäß ist es auch notwendig, dass man sich im Zuge einer Tatortanalyse die Zeitfaktoren ansieht. Wie lang hat er sich für die einzelnen Entscheidungen der Kontrollaufnahme und der eigentlichen Deliktsdurchführung Zeit gelassen? Neben diesen Ermittlungsansätzen ergibt sich aus der abgeschlossenen Tatortanalyse die Möglichkeit, einzelne Delikte aufgrund ihrer Dynamik ein und demselben Täter zuzuordnen. Besonders der Vergleich mit den Biografien anderer Täter, die ähnliche oder gleiche Entscheidungen getroffen haben, ergibt die Möglichkeit, „logische Vorstraftaten“ aufzuzeigen.
    Gerade das Herausarbeiten von einzelnem Verhalten, was nichts mit der pragmatischen Deliktsdurchführung zu tun hat, etwa eine besondere Ablagesituation oder zusätzliche Handlungen mit dem Opfer, geben immer wieder die Gelegenheit, ein gleiches Bedürfnis herauszuarbeiten, um dann den Kriminalisten aufzuzeigen, dass sie es mit ein und demselben Täter zu tun haben. Die Tatortanalyse bietet aber auch die Möglichkeit, Strategien zu entwickeln, um das Verhalten des Täters in die eine oder andere Richtung zu lenken. Das Verhalten eines anderen Menschen lässt sich nicht ändern, außer wenn man auf dessen Bedürfnisse eingeht. Durch viele Gespräche mit Personen, die ähnliches Verhalten gezeigt haben, gibt es immer bessere Möglichkeiten, auf die dahinter stehenden Bedürfnisse zuzugreifen. Selbstverständlich befragen wir die Leute in Hochsicherheitsgefängnissen, warum sie dies und das getan haben, welches spezielle Bedürfnis sie mit jenem Verhalten

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