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Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Titel: Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Müller
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jedem an den Hals wirft, der sie begehrt …“
    Es ist schlichtweg eine Lüge zu glauben, nach außen hin erkennen zu können, was jemand bereit ist, in die Tat umzusetzen oder nicht. Es ist schlichtweg ein Betrug, die eigene Lebenserfahrung vorzuschieben, um das Verhalten anderer Menschen beurteilen oder gar verurteilen zu können. Es ist schlichtweg ein Irrtum, aufgrund des Verhaltens in einer Situation auf das Verhalten in einer anderen Situation schließen zu können. „Das habe ich immer schon gewusst, dass der …“

30.

    Die Schnitte waren tief, zu tief, um sie zu überleben. Zweimal durchgezogen, eine Durchtrennung der gesamten Halsweichteile war die Folge und das junge Mädchen, welches den Nachtzug von Bern-Hauptbahnhof nach Bern-Niederwangen genommen hatte, fiel in sich zusammen wie ein Sack. Als der Mann vom privaten Sicherheitsdienst sie auffand, in Bauchlage, nahm er auch zunächst an, dass es sich um einen Sack handelte, der möglicherweise von Tieren zerrissen worden war. Aber als er näher trat, sah er in das Gesicht der jungen Frau und meinte, dass die Haut so weiß war, dass es keine weißere geben könne. Keine Farbe, keine Wand, nichts.
    Es war die Nacht des Schweizer Nationalfeiertages, es hatte geregnet. Das 19-jährige Mädchen war kurz nach Mitternacht von Bern die etwa 20-minütige Strecke in den Vorort Niederwangen gefahren. Dort ausgestiegen, überquerte es den Bahnhofsvorplatz, die Straße und wollte die kurze Strecke zum Haus seinen Eltern zu Fuß zurücklegen. Vor dem Verwaltungsgebäude eines internationalen Großkonzerns hatte der Täter es eingeholt und ihm mit einem mitgebrachten Messer zweimal die Kehle durchschnitten. Er ließ das Mädchen einfach liegen, ohne sich weiter um das Opfer zu kümmern, und nahm lediglich einige persönliche Gegenstände mit, die nicht von großem Wert, sondern mehr Erinnerungsstücke waren.
    Die junge Frau nahm nicht jeden Tag den gleichen Nachtzug und schon gar nicht um die gleiche Uhrzeit. Es war Zufall, dass sie an diesem Tag an diesem Ort war. Sie war mehr oder minder zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort.
    Wie haben wir uns jemanden vorzustellen, der kurz nach Mitternacht einer jungen Frau den Hals durchtrennt? Wie sieht so jemand aus? Nach wem sollen wir eigentlich suchen, wenn es scheinbar keine Beziehung zwischen Täter und Opfer gibt und wenn die junge Frau offensichtlich zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort war? Wenn das Opfer austauschbar wäre, wenn sie willkürlich ausgewählt worden ist und es dem Täter einfach nur darum gegangen ist, eine Frau zu töten? Übersteigen diese Überlegungen nicht unsere Vorstellungskraft?
    „Es gibt Menschen, die in Erfahrungswelten leben, die wir nicht betreten können.“
    Die Sache war für Bern, ja für die gesamte Schweiz deshalb so brisant, weil etwa eine Stunde vorher eine andere junge Frau beim Betreten ihres Elternhauses von hinten angefallen worden war, wobei ihr der Täter zahlreiche Stichwunden in Rücken und Schulter versetzte. Es hatte zunächst den Anschein, als ob die zugefügten Messerstiche zu einer Durchtrennung des Rückgrates geführt hätten, was gerade für diese junge Frau, die eine begeisterte Tänzerin war, nicht nur eine körperliche, sondern vor allem auch seelische Verstümmelung gewesen wäre. Die Wut und der Zorn der Allgemeinheit waren dem Täter sicher. Man ließ keine Gelegenheit aus, um der blinden Wut über das Unfassbare und der Verzweiflung freien Lauf zu lassen. So titelte das größte Schweizer Massenblatt mit der Schlagzeile „Seine Absicht wird immer klarer, er will nichts anderes als töten“ und der zweiten Überschrift „Sein Kennzeichen: äußerst brutal“. Verhalten ist nun einmal bedürfnisorientiert und hier besteht kein Unterschied zwischen dem Chefredakteur und demjenigen, der zwei junge Frauen niedersticht. Das Gesetz ist das gleiche. Was war das Bedürfnis der Zeitung? Die Auflage zu erhöhen. Aus rein kriminalpsychologischer Sicht war diese Überschrift eine glatte Katastrophe, weil sie den Täter geradezu dazu aufforderte, weiterzumachen, die letzte Türe verschloss und so die Möglichkeit ausschloss, noch in eine vernünftige Kommunikation eintreten zu können. Der Fortbestand der Kommunikation als Maßzahl einer möglichen Deeskalierung. Wenn die Kommunikation und das Gespräch beendet sind, beginnt meistens die Gewalt.
    Eine Kommission wurde eingerichtet. Es wurde Tag und Nacht gearbeitet, die eingehenden Hinweise wurden sortiert und

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