Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)
definitiv ausgeschlossen. Aber vielleicht gibt es fünf Millionen oder acht Millionen Menschen im deutschsprachigen Raum, die in der Lage sind, dieses Meisterwerk an Orthografie zu vollbringen. Wie viele Menschen gibt es aber, die beides können, im mikrosensorischen Bereich Bastelarbeiten durchzuführen und 40 Seiten fehlerlos zu schreiben? Das ist nun das angestrebte Prinzip bei der Erstellung von psychologischen Täterprofilen.
Gelingt es uns, genügend viele Charaktermerkmale aufgrund des Verhaltens zu beschreiben, sinkt die Wahrscheinlichkeit irgendwann gegen null, dass es auf allzu viele Menschen zutrifft. Trotzdem sind Täterprofile für die kriminalpolizeiliche Bearbeitung nahezu vollkommen wertlos. Auch mit der technischen Einführung der Rasterfahndung wird es uns kaum gelingen, aufgrund des Verhaltens, das am Tatort feststellbar ist, all jene Charaktermerkmale zu beschreiben, über die Datenbanken bestehen. So gesehen, ist ja auch die mehr als mondän gewordene Berufsbezeichnung des Profilers obsolet. Die Möglichkeiten einer kriminalpsychologischen Beurteilung eines Verbrechens sind am ehesten mit einem Verbandskasten und einem hochmodern ausgerüsteten Krankenhaus vergleichbar. Es gibt Verletzungen, bei denen Sie nur ein Pflästerchen benötigen, um die blutende Wunde zu stillen. Es gibt aber auch Verletzungen, bei denen Sie ein ganzes Team an Spezialisten, Werkzeug, elektronischen und mechanischen Geräten brauchen, um ein Leben zu retten und der Begierde des Todes die Türe zu weisen.
Und so gibt es Fälle, wo man mit einer kurzen Analyse einen Ermittlungsansatz erstellen kann. Es wird aber auch hochkomplexe Verbrechen geben, bei denen der Sachbearbeiter, der im Zentrum der Ermittlungen steht, dankbar ist für alle Möglichkeiten, welche die Tatortanalyse bietet: den Ermittlungsansatz, die Analyse eines möglichen Serienzusammenhanges, den Hinweis bei einer möglichen Hausdurchsuchung, Strategien, um den Täter in die eine oder andere Richtung zu bewegen, indem auf sein persönliches Bedürfnis eingegangen wird, und in manch seltenen Fällen auch eine Charakterbeschreibung des unbekannten Täters, um aus der Vielzahl von möglichen Tatverdächtigen den wahrscheinlichsten herauszufinden. Keine Tatortanalyse ohne Täterverhalten, keine Schlussfolgerungen ohne Vergleich!
33.
Was geht in einem Menschen vor, der einer jungen Frau um ein Uhr in der Nacht den Hals durchschneidet? Welche Bedürfnisbefriedigung steckt dahinter, eine junge Frau mit zahlreichen Messerstichen tödlich zu verletzen? Wie weit muss jemand sein, um diese beiden Delikte innerhalb von zwei Stunden durchzuführen? Wie denkt, handelt, fühlt eine derartige Person? Um überhaupt nur ansatzweise darüber nachzudenken, den Kriminalisten eine Hilfestellung anzubieten, sollten wir zuerst mit den wahren „Spezialisten“ sprechen, mit jenen, die dieses Verhalten bereits gesetzt haben.
Friedrich Nietzsche hat gemeint: „Wenn man lange genug in einen Abgrund hineinblickt, muss man vorsichtig sein, dass der Abgrund nicht irgendwann einmal in einen selbst hineinblickt“, und: „Wer lange genug mit Monstern kämpft, soll aufpassen, dass er nicht selbst zum Monster wird.“ Mit einem Menschen zu sprechen, der einen anderen durch Zufügen von 40 Messerstichen getötet hat, ist ein eigenartiges Erlebnis. Man sitzt mit jemandem an einem Tisch, der höflich, zuvorkommend und gleichzeitig auch dankbar ist, dass man ein Gespräch führt. Man sieht einen Menschen vor sich, der kein Kainsmal auf der Stirne trägt, auf dem geschrieben steht: „Ich habe gemordet.“ Es handelt sich um jemanden, der Gefühle zeigt, der sich bewegt und lacht. Aber trotzdem ist es irgendwie etwas Unheimliches, einem Menschen gegenüberzusitzen, der selbst einmal ein Leben ausgelöscht hat, und noch dazu absichtlich. Mit einem Menschen zu sprechen, der drei, fünf, zehn oder vierzig Menschen umgebracht hat, mit einem Menschen am Tisch zu sitzen, der kleine Kinder vergewaltigt und zu Tode gequält hat, oder mit einem Menschen ein Gespräch zu führen, der über 100 Tierschändungen und 14 Leichenschändungen beging und am Ende seiner kriminellen Karriere vier Frauen abgeschlachtet hat, in einer Art und Weise, dass sie nicht mehr als Menschen erkennbar waren, gehört zweifelsohne zu den komplexesten Dingen, die wir im Rahmen unserer Tätigkeit durchführen.
Zunächst einmal ist jeder gut beraten, die Emotionen aus derartigen Gesprächen herauszulassen. So wie wir bei der
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