Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)
Bearbeitung von derartigen Delikten nicht verurteilen, sondern nur beurteilen können. Sie können nämlich vor den Obduktionsbildern von zu Tode gequälten Kleinkindern sitzen und lange darüber nachdenken, wer denn in der Lage ist, so etwas überhaupt zu tun. Sie können emotionell an die Sache herangehen, Ihrem Unverständnis, Ihrer persönlichen Abneigung, manchmal sogar dem Hass und der Wut freien Lauf lassen und Sie würden automatisch beginnen, Fehler zu machen. Das wäre mit einer Situation vergleichbar, in der Sie mit Ihrem Freund oder Partner eine Partie Schach spielen. Sie ärgern sich über seine Frisur oder dass die Krawatte nicht ordentlich gebunden ist, und Sie würden automatisch beginnen, auf dem Brett Fehler zu machen. So grotesk es klingt und so wenig es als nachvollziehbar erscheint, aber wir müssen mit diesen Leuten zusammenarbeiten, um von ihnen Informationen zu erhalten, die es uns erleichtern, andere Delikte schneller, effizienter und präziser bearbeiten zu können. Man geht niemals unvorbereitet in derartige Gespräche.
Man analysiert sämtliche Verhaltensweisen, die der Täter am Tatort gezeigt hat. Man besorgt sich Informationen zu seiner Biografie, seinem Verhalten während der Gerichtsverhandlung, seiner Fähigkeiten zu lenken, zu leiten, zu manipulieren oder eben zu täuschen. Solche Gespräche entwickeln sich nicht wie ein entspannendes Gespräch in der Kneipe. Solche Gespräche sind vorbereitet, geplant und strukturiert. Sie zielen einzig und allein darauf ab, Informationen von einer Person zu erhalten, die eine bestimmte Entscheidung in ihrem Leben bereits getroffen und dabei Grenzen überschritten hat, die wir scheinbar nicht nachvollziehen können. Es sind Personen, die eine Erklärung für eine bestimmte Entscheidung, für ein bestimmtes außergewöhnliches Verhalten anbieten können, um es halbwegs nachvollziehbar, verständlich und erklärbar zu machen. Wann ist Ihnen dieser Gedanke gekommen? Wann haben Sie diese Entscheidung getroffen? In welchem Erregungszustand waren Sie, als Sie das und das getan haben? Was war Ihre Gefühlslage? Zu welchem Zeitpunkt empfanden Sie Mitgefühl, Schuld, Abneigung, Hass? Die Lüge ist vorprogrammiert, aber durch die Kenntnis der objektiven Kriterien, welche in der Regel am Tatort feststellbar waren, auch minimierbar. Aber ich habe noch kein Gespräch in einem Hochsicherheitsgefängnis geführt, wo ich aufgrund des Aussehens und des Verhaltens der Person annehmen hätte können, was er tatsächlich in seinem Leben schon alles umgesetzt hat. Ganz im Gegenteil, die meisten dieser Leute sind höflich, zuvorkommend, teilweise schüchtern und teilweise leben sie in einer Welt von gewalttätiger Fantasie, die sich im Laufe der Jahre zu einem alles verschlingenden, sich ständig fortbewegenden und vernichtenden schwarzen Loch entwickelt hat. Positive Gefühle, Zuneigung, Sehnsucht, Liebe und Leben verschwinden darin ebenso wie der ehrliche Gedanke, etwas Falsches getan zu haben. Ich habe Menschen getroffen, die sich ausschließlich selbst leidgetan haben und nur darüber gesprochen haben, welche Fehler sie begingen. Ich habe mit Menschen gesprochen, die niemals zugeben würden, wie viele Frauen sie tatsächlich vergewaltigt und wie viele Menschen sie umgebracht haben. Und ich habe mit jenen gesprochen, die nicht einmal die Namen ihrer Opfer kannten. Aber eines ist diesen Menschen allen gemein. Sie besitzen Informationen über jene Grenzbereiche der menschlichen Existenz, über die wir uns allzu leicht anmaßen zu urteilen. Vergessend, dass wir noch viel zu wenig über Ursache und Wirkung wissen. Gerade die Biografien von jenen Tätern, welche die komplexesten Sexualverbrechen begehen, ähneln einander in einigen Punkten ganz erstaunlich.
In den meisten Fällen kommen sie als junge Kinder in eine Situation, wo sie einen beunruhigenden Umstand nicht mehr verarbeiten können. Sie sind nicht mehr in der Lage, darüber zu sprechen, weil ihnen in den meisten Fällen ein Ansprechpartner fehlt. Jetzt flüchten sie sich dorthin, wo sie plötzlich mächtig sind, um den Stiefvater, der fortwährend ihre eigene Mutter schlägt, vernichten zu können. Sie flüchten in einen Bereich, wo sie genügend Kraft besitzen, um andere Menschen, die sie demütigen und schlagen, selbst zu vernichten. Sie flüchten in ihre Fantasien. Gewaltfantasien, die sich im Alter von sechs, sieben und acht Jahren ausprägen, genährt durch den fortwährenden Konsum von Gewaltvideos und
Weitere Kostenlose Bücher