Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)
Auftrag des ärztlichen Direktors des Westfälischen Zentrums für Forensische Psychiatrie in Eickelborn bei Lippstadt an. Sie habe den Auftrag erhalten, sich mit mir in Verbindung zu setzen, um eine eventuelle interdisziplinäre Kooperation zwischen der forensischen Psychiatrie und der Kriminalpsychologie anzudiskutieren. Dr. Michael Osterheider, so hieß der Ärztliche Direktor der größten Maßregelvollzugsanstalt Europas, habe sie sehr konkret beauftragt, vorab zwei Dinge zu klären. Sie fragte mich, ob ich grundsätzlich bereit wäre, in einer Art interdisziplinärem Wechselspiel die Informationen der Kriminalpsychologie und der forensischen Psychiatrie auszutauschen, und ob ich bereit wäre, für einen zweiwöchigen Zeitraum nach Eickelborn zu kommen, um die grundsätzlichen Erkenntnisse der Kriminalpsychologie einer Reihe von forensischen Psychologen und Psychiatern darzustellen. Die Anfrage war klar, präzise und eindeutig. Nur der Grund für diese Anfrage war für mich vorweg nicht nachvollziehbar. Warum sollten sich forensische Psychiater allen Ernstes mit Tatorten beschäftigen? Welchen Nutzen könnte für sie die Interpretation des Verhaltens bringen? Aber je länger ich mich mit der Anruferin unterhielt, desto klarer wurde mir, worum es tatsächlich ging. Es ging um die Gefährlichkeitsbeurteilung.
Während ich als Kriminalpsychologe auf der einen Seite stand, den Tatort beobachtete, versuchte, Spuren zu finden, sie zu definieren, das Verhalten zu klassifizieren, um zusätzliche Ermittlungsansätze für die Kriminalisten zu liefern, standen auf der anderen Seite die forensischen Psychiater vor einer Person, von der sie wussten, dass sie ein bestimmtes Verbrechen begangen hatte, aber nicht dagegen gefeit waren, nach wie vor angelogen zu werden. Woher sollten sie denn wissen, was im Kopf dieser Person vorgeht? Und sie sollten als Fachleute jetzt darüber entscheiden, ob diese Person gefährlich ist oder nicht, ob man sie aus der Haft entlassen kann, ob mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass sie ein bestimmtes Verhalten nicht mehr begehen wird. Eine äußerst schwierige Situation! Aber wie konnten die Erkenntnisse der Tatortinterpretation jenen Experten weiterhelfen, die den Täter vor sich hatten? Ihre Erkenntnisse waren ja sicherer. Sie waren messbar mit psychologischen Tests und Messverfahren. Sie konnten sich stunden-, tage-, wochen-, monatelang mit den Personen unterhalten. Aber fehlte ihnen nicht auch irgendwie die Maßzahl dessen, was möglicherweise das Motiv oder vielmehr das Bedürfnis für ein bestimmtes Verhalten darstellte?
Das Angebot reizte mich, ließ mich aber gleichzeitig meine Grenzen erkennen. Vor 15 oder 20 Spezialisten der forensischen Psychiatrie, die allesamt in der größten Maßregelvollzugsanstalt Europas arbeiteten, einen Ausbildungskurs über Tatortanalyse abzuhalten, das war etwas anderes, als einen Vortrag in Südafrika zu halten. Diese Leute waren Spezialisten, akademisch gebildet, hatten Dutzende, ja Hunderte Interviews geführt und waren mit der Materie der Psychopathologie von außergewöhnlichen Menschen vertraut. Was für eine Gelegenheit, das Erlernte und Beobachtete, die Schlussfolgerungen, meine Erkenntnisse auf den unnachgiebigen Amboss der wechselseitigen Betrachtungsweise zu legen und den noch glühenden Rohling der ersten Erkenntnisse unter den Hammerschlägen einer anderen prüfenden Wissenschaft zu formen! Was für eine Gelegenheit, dass dieses Projekt wirklich in die Realitätsphase übergeleitet wird! Ich rief Bob in Virginia an und ersuchte ihn um Mithilfe für die zweite Woche. Er stimmte zu und war hocherfreut, denn auch er hatte einmal vor Jahren versucht, in den Vereinigten Staaten die Erkenntnisse der Verhaltensbeurteilung an die Forensik heranzubringen, mit Psychologen und Psychiatern zusammenzuarbeiten, die in Hochsicherheitsgefängnissen und Maßregelvollzugsanstalten zu tun hatten, um die schwierige Frage der Gefährlichkeitsbeurteilung zu unterstützen. Es war ihm allerdings nicht gelungen.
Es ging einzig und allein um den Austausch der Informationen. Es ging darum, die Zusammenarbeit zu fördern. Ein abermaliges „quid pro quo“ !
Wir gaben ihnen alle Informationen der Tatortbearbeitung und -beurteilung wie das Suchen, Finden und Interpretieren von Verhalten, von einzelnen Entscheidungen, die jemand getroffen hatte, wenn er ein Verbrechen begangen hatte, einschließlich der dahinter stehenden Bedürfnisse, die wir
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