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Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Titel: Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Müller
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im Zuge unserer Gespräche erfahren hatten, und die Vertreter der Psychiatrie gaben uns Erklärungsmodelle, ihre Erkenntnisse der Gesprächsführung, psychiatrische Einordnungen und Ergebnisse neurologischer Untersuchungen. Das Eis des Disziplinenstreites schien gebrochen. Die Zusammenarbeit war fruchtbringend und, wie sich bald herausstellte, mehr als notwendig.

39.

    Ein Verbrechen war geschehen. Die alte alleinstehende Frau wohnte in einem kleinen Haus außerhalb der Stadt. Ihr Häuschen duckte sich bereits in die Ausläufer des Eichenwaldes und die zwar eingesperrten, aber ständig bellenden Schäferhunde boten ihr scheinbaren Schutz. Durch ihre Gehbehinderung und auch aufgrund ihrer Biografie war sie misstrauisch geworden. Nur wenige in ihrer Familie hatten Zugang zu ihrem Häuschen und auch der Hausarzt, der regelmäßig kam, um ihre Schmerzen zu lindern, musste sich telefonisch voranmelden.
    Dem Neffen, der sie fand, bot sich ein Bild des Grauens. Sie lag in Rückenlage unmittelbar hinter der Eingangstüre, die Brille zerbrochen am Boden, Strumpf und Unterhose nach unten gefetzt, Oberbekleidung und Tagesschürze aufgerissen. Am Schädel klafften mehrere tiefe Wunden, gaben den Blick ins Innere frei. Die riesige Blutlache, in der sie lag, zeugte von der Gewalt der Hammerschläge, die auf ihren Kopf niedergekracht waren. Das Unverständlichste war aber die tiefe klaffende Schnittwunde, welche sich vom unteren Brustkorb bis in die Schamgegend erstreckte. Der Schnitt war durchgezogen und die feucht glänzenden Bauchorgane lagen frei. Mitten in den Darmschlingen steckte ein Hühnerei. Unbeschädigt und scheinbar eingebettet, erschien es geradezu als symbolische Handlung, die wohl niemand zu enträtseln in der Lage war. Irgendjemand hatte die alte Frau, kurz nachdem sie die Tür geöffnet hatte, mit schweren Schlägen zu Fall und schließlich auch umgebracht. Wer immer es auch war, er hatte ihr die Kleidung teilweise vom Leib gerissen und geschnitten und war dann dazu übergegangen, seinen außergewöhnlichen Fantasien freien Lauf zu lassen. Die Schnittwunden im Bauchbereich waren weißlich gelb, kein Tröpfchen Blut floss aus der Wunde, sodass man annehmen konnte, dass die Frau schon lang tot war, bevor der Täter das extrem scharfe Instrument dazu benützte, den gesamten Unterbauch zu öffnen.
    „Was hat der Täter getan, was er nicht tun hätte müssen, um ein Verbrechen zu begehen?“ , ist eine der Schlüsselfragen im Zuge einer Tatortanalyse. Es gibt rein „pragmatische“ Entscheidungen, um ein Verbrechen zu begehen, Handlungen, die man treffen muss, um ein gewisses Ziel zu erreichen, womit die Handlung überhaupt erst juristisch einordenbar wird.
    „Wer einen anderen Menschen vorsätzlich tötet, der ist …“
    Darüber hinausgehend finden sich aber bei fast jedem Tatort Handlungen und Entscheidungen der Täter, die nichts mit der pragmatischen Durchführung des Verbrechens zu tun haben. Sie sind Ausdruck eines persönlichen Bedürfnisses, einer Fantasie, was in den meisten Fällen bei erster Betrachtungsweise keinen Sinn ergibt. Erst im Vergleich mit vielen anderen Delikten, dem Zusammenführen von Informationen, Erklärungsansätzen von jenen, die ähnliche oder gar gleiche Verhaltensweisen gesetzt haben, können wir die scheinbar im ewigen Dunkel der menschlichen Gehirne verborgenen Geheimnisse etwas aufhellen. Warum liegt hier ein Hühnerei im offenen Bauch eines älteren Opfers? Den Versuch zu unternehmen, dieses Verhalten selbst zu interpretieren, wäre glatter Wahnsinn. Er würde in eine Sackgasse führen und weder den ermittelnden Behörden weiterhelfen noch jenen Personen, die sich Gedanken über die Gefährlichkeit eines Täters beziehungsweise über die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholungsgefahr machen müssen.
    Die allgemeine Annahme, sämtliche Erkenntnisse der Tatortanalyse könnten nur bei Personen angewandt werden, die man landläufig als Serienmörder bezeichnet, ist schlichtweg falsch und naiv. Die Annahme, man könne außergewöhnliches Verhalten am Tatort überhaupt nicht interpretieren, ist es ebenso. Es gilt Vergleichsfälle zu finden, Erklärungsansätze von jenen herzunehmen, die ähnlich gelagerte Verhaltensweisen bereits gezeigt haben und vor allem bereit sind, darüber zu sprechen. Aber selbst die Informationen einer einzelnen Person müssen anhand der Aussagen anderer verifiziert werden. Finde ich genügend Leute, die im Zuge von Tötungshandlungen Gegenstände in Opfer

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