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Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Titel: Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Müller
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seine Frage, worauf er sich, nachdem er mir durch die Gitterstäbe seine Hand gereicht hatte, mit den Worten von mir abwandte: „Damit hat unser Gespräch begonnen und ist auch gleichzeitig beendet.“ Anschließend marschierte er die zehn Meter den Gang entlang, um im daran anschließenden Zellentrakt wieder zu verschwinden. Jung, unerfahren, gerade erst mit der Ausbildung durch die amerikanischen Kollegen fertig, wusste ich nur, dass ich etwa zehn Sekunden Zeit hatte, Jack Unterweger davon zu überzeugen, dass es vielleicht doch vernünftig wäre, ein Gespräch mit mir zu führen, indem ich mich für kurze Zeit in irgendeinem Bereich unserer beider Biografien mit ihm auf einen gemeinsamen Nenner einigte. Ich wusste, dass er aus Judenburg in der Steiermark stammte. Ich stamme aus Innsbruck in Tirol, was man zumindest damals unschwer an meiner Sprache erkennen konnte. Der Sitz der Sonderkommission, des Innenministeriums, der Regierung und überhaupt der Macht Österreichs liegt in Wien. Nun existiert in Österreich ein altes Vorurteil, dass alle Leute, die nicht aus Wien stammen und aus welchen Gründen auch immer ihren Lebensmittelpunkt in Wien aufschlugen, grundsätzlich benachteiligt sind, ob nun als junger auszubildender Kriminalpsychologe aus Tirol oder als verdächtigter Serienmörder aus der Steiermark. Was ich sehr wohl bis zu diesem Zeitpunkt meiner Ausbildung bei den amerikanischen Kollegen in Erfahrung bringen konnte, war die krankhafte Selbstüberschätzung dieser Personen, sodass sie in der Regel dankbar jeden Umstand aufgreifen, um größer, besser, intelligenter und auch unschuldiger dazustehen. So gestattete ich mir, Herrn Unterweger noch den Satz zuzurufen: „Glauben Sie denn, mir würde es in Wien als Tiroler anders gehen als Ihnen, wo Sie aus der Steiermark stammen?“ Dieser Satz machte mich für ihn zu einem idealen Opfer der Manipulation. Er sah in mir den idealen Kandidaten, um mich als „Wurm“ in die Sonderkommission einzuschleusen, für ihn als „Informant“ tätig zu sein. Ein Brief, den mir Jack Unterweger viel später schrieb, zeugt noch heute von dem Versuch, mich zu bewegen, für ihn Ermittlungen durchzuführen.

    Jack Unterweger griff diesen Satz auf, teilte zustimmend meine Meinung, dass es auch für mich als Tiroler schwer wäre, in Wien zu existieren, und lud nun mich seinerseits zu einem Gespräch ein, das sich über mehrere Stunden hinzog.
    Auch während dieses Gespräches hatte ich zu einem bestimmten Zeitpunkt das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Subjektiv, undefiniert, nicht fassbar, glaubte ich, aus welchem Grund auch immer, einen Schritt hinter ihm zu gehen, das Gespräch nicht mehr selbst zu leiten, sondern geleitet zu werden, das Gespräch nicht mehr zu kontrollieren, sondern selbst zum Kontrollierten geworden zu sein, bis ich bemerkte, warum.
    Jack Unterweger, der im Übrigen in all diesen elf angeklagten Mordfällen aus rein juristischer Sicht als unschuldig zu gelten hat, da er zwar in neun Fällen verurteilt wurde, aber nach der erstinstanzlichen Aufarbeitung den Freitod wählte und sein Urteil daher nie bestätigt wurde, dieser Jack Unterweger hatte eine körperliche Eigenart, die nur sehr wenige Menschen besitzen. Mehr oder minder regelmäßig müssen wir unkontrolliert unsere Augen schließen, um sie zu befeuchten, vier-, fünfmal in der Minute, je nach Nervosität und Anspannung öfter. Was bei anderen Menschen ein Reflex ist, konnte von Unterweger teilweise kontrolliert werden. So hatte ich subjektiv das Gefühl, dass er auch nach einem Zweieinhalb-Stunden-Gespräch in seinen Gedankengängen, seinen Überlegungen, in seinen zweifelsohne vorhandenen naturpsychologischen Fähigkeiten und dem schier unglaublichen Macht-, Dominanz- und Kontrollbestreben immer um zwei, drei Züge voraus war. Während ich meine Augen etwa 30-mal – und sei es auch nur jeweils für eine Zehntelsekunde – schließen musste, tat er es nicht einmal halb so oft. Zunächst nicht wissend, was die Ursache dieses subjektiven Unbehagens war, war es zwar nach Kenntnis der Ursache immer noch nicht angenehm, einem Menschen gegenüberzusitzen, der einen bewegungslos, gleichsam wie eine Schlange ohne Augenlider fixierte, aber ich konnte zumindest an diesem Umstand arbeiten, nachdem ich ihn erkannt hatte. Ursache und Wirkung sind wichtige Punkte in der Beurteilung des Verhaltens anderer Menschen.

5.

    So wie zehn Jahre vorher im Gespräch mit Jack Unterweger überfiel mich während des

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