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Bestien in der Finsternis

Bestien in der Finsternis

Titel: Bestien in der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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Assessor Kahl.
    Der trug einen Vollbart, der
wie vier Kilo Trauerwolle aussah.
    Mindestens zwei Jahre hatte er
ihn wachsen lassen und gepflegt.
    Jetzt sah man die Augen noch
hinter den Brillengläsern und die Spitze der Nase. Den Rest des Gesichtes
versteckte Gestrüpp. Ohne Schneise, ohne Lichtung.
    Im Speisesaal beaufsichtigte
Kahl, der mit Vornamen Dietmar hieß, zur Zeit den Tisch, an dem Tim und
Klößchen ihre Plätze hatten. Also konnten die beiden aus nächster Nähe
beobachten, wie hinderlich der Urwaldbart war. Vor allem bei halbflüssiger
Nahrungsaufnahme.
    Mit Suppen, Eintöpfen und Soßen
lebte Kahl in zunehmendem Maße auf Kriegsfuß. Deren Neigung, auf halbem Weg
auszuscheren, war fatal. Nur wenig gelangte zwischen die Zähne.
    Daraus entstand ein
Teufelskreis. Denn Kahl war verunsichert. Und sobald er den Löffel zum Mund
führte, tatterte seine Hand wie bei einem Zittergreis. Aber Kahl war erst 31.
    Die Stimmen, die ihm rieten,
dem Gesichtsbehang Adieu zu sagen, mehrten sich.
    Tim hatte ihm gestern
empfohlen, doch einen ,Kahlschlag’ vorzunehmen. Geerntet hatte er einen bösen
Blick. Aber auf den Unterricht wirkte sich das nicht aus. Die Geschichtsstunde
schleppte sich hin in gleichbleibender Dösigkeit. Kahl besaß nicht die Gabe,
Welt- und Kulturgeschichte spannend zu gestalten.
    Alle dösten. Nur Tim, Karl und
Klößchen waren wach.
    Neugier bewirkte das. Weil Gaby
angekündigt hatte, nach dem letzten Klingelzeichen von den neuesten kriminellen
Geschehnissen zu berichten. Jedenfalls von dem, was sich letzte Nacht ereignet
hatte.
    Die entsprechenden Infos bezog
sie beim Frühstück von ihrem Vater.
    „...und damit“, Kahls leierige
Stimme klang wie Fliegengesumm, „fällt in das Jahr 406 folgendes: Wandalen,
Alemannen und Alanen dringen aus den Donauländern gegen die Franken über den
Rhein vor — erreichen und besiedeln 409 sogar Spanien. Die Franken lassen sich 406
am nördlichen linken Rheinufer nieder, die Alemannen am südlichen. Burgunder
gründen am mittleren Rhein ein Reich mit der Hauptstadt Worms. Die allerdings
437 von den Hunnen zerstört wird. He, Willi, was ist aus Worms geworden?“

    Klößchen hatte mit einem Ohr
zugehört. „Die Stadt wurde ausgelöscht. Im Jahre 437.“
    „Und?“
    „Weiter, Herr Kahl, waren Sie
noch nicht.“
    „Schade um die Stadt, nicht
wahr?“
    „Sicher. Aber inzwischen gibt’s
ja genug andere. Außerdem liegt diese Hunnen-Untat... äh…“, er begann zu
rechnen, „ungefähr 1500 Jahre zurück. Da brauchen wir nicht mehr zu trauern.“
    „Aber es wäre doch schön, wenn
es die Stadt heute noch gäbe.“
    Dieser Einwand war Klößchen
nicht geheuer.
    Ohne die Lippen zu bewegen,
wisperte Tim: „Sprich nach: Worms ist eine der geschichtsträchtigsten deutschen
Städte. Die Gegend wurde schon in vorgeschichtlicher Zeit besiedelt. Im ersten
Jahrhundert vor Christus entstand dort die keltische Siedlung Borbetomagus. War
der Hauptort der germanischen Vangiconen. Aus der römischen Siedlung Civitas
Vangionum wurde im vierten Jahrhundert ein Bischofssitz. Worms war auch
Schauplatz bedeutender Reichs- und Fürstenversammlungen...“
    „Setzen, Willi!“ befahl Kahl,
dem der Bart nicht in die Ohren reichte. „Es genügt nicht, daß du Tims Vorsagen
nachkaust. Bis Montag beschäftigst du dich mit der Stadtgeschichte von Worms.
Denn stell dir vor: Die Stadt gibt’s noch.“
    „Na, und wie!“ rief Markus
Delle, einer der Internatsschüler. „Ich bin dort geboren, und meine Eltern
leben dort.“
    „Kein Kunststück, daß du’s dann
weißt“, meinte Klößchen geringschätzig. „Ich war zwar schon in Marbella und auf
Rhodos, aber noch nie in Worms.“
    „Ruhe!“ schrie Kahl durch sein
Bartgestrüpp.
    In diesem Moment ertönte das
Pausenzeichen.
    Wahnsinnslärm brandete auf.
    Niemand verstand mehr sein
eigenes Wort und Kahl streckte die Waffen.

6. Ein kürzerer Bart
     
    Der Himmel zeigte sich
bleifarben. Es war die gleiche Hitze wie gestern. Die Vögel flogen, als wären
sie betrunken. Fliegen summten gemächlicher. Klößchen fluchte und vergoß
Schweiß.
    Tim und er begleiteten ihre
Freunde zum Fahrradplatz.
    „...ist das vermutlich der
sensationellste Schmuckdiebstahl des Jahres“, berichtete Gaby nun endlich. „Ein
gewisser Bernhard Goldmann ist der Geschädigte. Er ist alt, schläft schlecht
und nimmt deshalb jeden Abend drei Schlaftabletten. Sicherlich wirken die wie
Narkose. Denn er hat nichts gehört von dem Einbrecher. Papi, der

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