Bestien in der Finsternis
dritter.
Beim Mittagessen im Speisesaal
saß Tim neben Assessor Kahl.
Der Pauker seufzte erleichtert,
weil es keine Suppe gab, sondern Pellkartoffeln mit Sahne-Hering und — als
Nachtisch — Rote Grütze.
„Ich erwäge“, sagte er — und
posselte ein Stück Hering aus seinem Bartgestrüpp, „demnächst wieder nacktes
Gesicht zu tragen.“
„Gratuliere zu dem Entschluß!“
nickte Tim.
„Beim Gesicht ist ja Nacktheit
durchaus üblich“, meinte Klößchen, der mitgehört hatte. „Für andere Körperteile
gilt das nicht.“
„Wie werden Sie Ihre
Manneszierde entfernen?“ fragte Tim.
„Das wird noch ein Problem.“
Kahl lächelte. Zu sehen war das
nicht. Aber Tim hörte es an der Stimme.
„Zum Frisör“, erklärte der
Assessor, „gehe ich deshalb nicht. Das wäre ja ein Eingeständnis handwerklicher
Unfähigkeit. Nein, ich werde mir eine größere Schere besorgen und dann
lossäbeln.“
„Der Aushilfskellner Jacques“,
sagte Klößchen, „den meine Eltern immer zu ihren Parties engagieren, trägt
einen ganz kurzen Bart. Etwa so wie Oskars Fell, wenn es getrimmt ist. Das
sieht gut aus. Sie, Herr Kahl, sehen mehr aus wie Rübezahl (schlesischer
Berggeist) .“
„Wehe dir, Willi!“ drohte Kahl,
„du weißt am Montag nicht jede Kleinigkeit über die Wormser Stadtgeschichte!
Für den Rübezahl werde ich mich rächen.“
Aber dann interessierte ihn die
technische Seite an Jacques’ fellkurzem Gesichtsschmuck.
„Sowas wäre die bessere Lösung.
Einen kurzen Bart zu tragen, meine ich. Andererseits habe ich keine Lust,
ständig zum Frisör zu rennen. Und um ihn selbst zu stutzen — diese Schnippelei
ist doch mühsam. Jedes Härchen braucht seine richtige Länge.“
„Jacques macht das mit seinem
Bartschneider“, wußte Klößchen.
„Womit?“
„Bartschneider — ein Apparat.
Wie ein Rasenmäher — nur wesentlich kleiner. Ich habe mal zugesehen, wie er den
handhabt. Sssssssss... Er fährt einfach im Gesicht rum. Das Schneidewerk ist
auf die gewünschte Länge eingestellt — auf neun, zwölf oder 15 Millimeter; und
an allen Stellen sind die Haare gleich lang.“
„Den Apparat werde ich mir
besorgen“, beschloß Kahl.
„Frag Jacques mal, wo es den
gibt. Mein Frisör kennt ihn nicht. Der klappert nur mit der Schere.“
Klößchen versprach’s.
Dafür durfte er Kahls Rote
Grütze essen.
Auch Tim verzichtete auf
Nachtisch, verhinderte aber, daß sein dicker Freund das dritte Dessert
vertilgte.
Im ADLERNEST, ihrer Bude, war
es trotz geöffneter Fenster stickig und heiß.
Die beiden holten Badehosen und
Handtuch, dann ihre Tretmühlen aus dem Fahrradkeller — und los ging’s.
Karl wartete bereits am Anfang
der Zubringer-Straße, wo sie sich verabredet hatten.
Tim spähte stadtwärts. Aber
seine Freundin war nicht in Sicht.
Nach fünf Minuten wurde er
unruhig.
„Jeder kann sich mal
verspäten“, meinte Karl. „Besonders weibliche Wesen haben das an sich. So
gesehen ist Gaby eine rühmliche Ausnahme. Im Schnitt ist sie so pünktlich wie
wir.“
„Aber nur, weil sie enorm gute
Farben hat“, meinte Klößchen.
Tim fragte, wie das zu
verstehen sei.
„Ich meine“, grinste sein
dicker Freund, „sie hat total rote Lippen, braucht also keinen Lippenstift.
Ihre Haut braucht kein Make up und kein Puder. Sie hat lange schwarze Wimpern.
Wozu sollte sie die tuschen? Den Pony schneidet sie nur wochenweise, im Winter
noch seltener. Und bei der Pferdeschwanzfrisur genügen ein paar Striche mit der
Haarbürste. Ich will damit sagen, lange Vorbereitungen sind nicht ihre Sache.
Die meisten Frauen kommen nämlich zu spät, weil sie endlose Zeiten vor dem
Spiegel stehen und nicht fertig werden.“
„Willi, der Frauenkenner“,
grinste Karl.
„Aber er hat recht“, sagte Tim.
„Ah, da ist sie.“
Gaby radelte heran.
Oskar trabte neben dem Rad —
und mußte als erster begrüßt werden.
„Wartet ihr schon lange?“
fragte sie. „Tut mir leid.“
„Das genügt nicht“, sagte Tim
streng. „Wir wollen den Grund wissen für achteinhalb Minuten Verspätung. Sonst
frage ich mich: Wo sind wir denn hier? Doch nicht bei der Bundeswehr. Bei TKKG
herrscht Disziplin.“
„Du meine Güte!“ lachte Gaby.
„Na, dann rate mal! Was ist der Grund?“
„Ich ahne es“, rief Klößchen.
„Du hast vor dem Frisierspiegel deiner Mutter probiert, wie man Lidschatten
pinselt.“
„Falsch! Erstens kann ich das
schon. Zweitens fange ich damit nicht vor 23 an. Nein, mein Onkel Robert
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