Bestien in der Finsternis
gleich am
Tatort war, meint, es können auch zwei gewesen sein. Zwischen ein und zwei Uhr
morgens, vermutlich. Denn eine Uhr ging zu Bruch. Die ist stehengeblieben um
1.44 Uhr. Dreizehn Schmuckstücke wurden gestohlen. Gesamtwert 1,2 Millionen.
Das muß man sich vorstellen, was? Darunter ist auch die sogenannte chilenische
Göttin. Ein Schmuckstück zum Umhängen ist das eigentlich nicht — mehr eine
kunstgeschichtliche Rarität. Jedenfalls wurde sie vor etwa 100 Jahren von
Kautschuksuchern im südamerikanischen Urwald gefunden — in einem Tempel. Sie
ist 29 Zentimeter hoch und aus purem Gold. Morgen werden die Tageszeitungen ihr
Bild veröffentlichen. Papi hat sich das Foto angesehen, das der alte Goldmann
von ihr besitzt.“
„Ist denn dieser
Schmucksammler-Greis noch bei Sinnen?“ rief Tim. „Solche Werte läßt man doch
nicht bei sich rumliegen.“
„Normalerweise ruhen sie in
einem Banksafe. Aber zweimal im Jahr kriegt Goldmann Besuch von entfernten
Verwandten, den künftigen Erben. Denen zeigt er dann immer wieder, was sie
erwartet. Er macht ihnen den Mund wässrig, damit sie ihn umschmeicheln - solange
er lebt. Zu Papi hat er gesagt, er wisse genau, daß das alles Erbschleicher
sind. Aber es mache ihm Spaß, sie zu prüfen. Jeder versuche, im Testament
möglichst gut abzuschneiden. Das führe dazu, daß einer den andern
schlechtmacht, verleugnet, heimlich gegen ihn mosert, Gerüchte in Umlauf bringt
und massenhaft Ehre abschneidet. Der Alte weiß das, wie gesagt, und hat vor,
seinen ganzen Klumpatsch einem kirchlichen Hilfswerk zu vermachen. Im Vertrauen
hat er das Papi gesagt. Also sprecht nicht darüber.“
Tim grinste. „Manche Alten
werden bösartig, manche werden weise. Ein Teil verkalkt.“
„Manche sterben schon vorher
und werden gar nicht alt“, meinte Klößchen. „Ich würde Alters-Bosheit der — wie
heißt das? — Senilität ( Gedächtnisschwäche ) vorziehen.“
„Das gelingt aber nur“, lachte
Karl, „wenn du bei Zeiten dein Gehirn trainierst. Irgendwann in den nächsten
Jahren solltest du damit anfangen.“
„Gibt’s Spuren?“ fragte Tim
seine Freundin.
„Bis jetzt nicht.“
„Ein Super-Coup. Um die kleine
Göttin ist es schade. Die Ganoven werden sie natürlich einschmelzen — weil sie
sonst zu auffällig wäre. Das Gold verkaufen sie dann einem Juwelier oder einem
Zahnarzt. Jedenfalls hat der Fall mit unserem Problem nichts zu tun. Lockern
wir mal unsere graue Grütze, damit wir in 70 Jahren nicht senil werden. Wie
können wir Zenke zwingen, Oma Habrecht das Geld zurückzugeben?“
„Zwingen?“ Gaby schüttelte den
Kopf. „Überhaupt nicht.“
„Ich meine ja nicht mit roher
Gewalt.“
„Gekochte Gewalt ist mir auch
lieber“, grinste Klößchen. „Beim Schinken hingegen mag ich lieber den rohen.“
Sie hatten den Fahrradplatz
erreicht.
Tim holte Gabys Rad aus dem
Ständer.
„Zenke hat Nerven gezeigt“,
sagte Karl.
„Und?“ fragte Tim.
„Vielleicht bringt es was, wenn
wir darauf rumtrampeln.“
„Gute Idee.“
„Das ist doch meine
Spezialität“, strahlte Klößchen. „Bei manchen schaffe ich das sogar, wenn ich’s
gar nicht vorhabe. Aber bei Zenke hätte ich die Taktik voll drauf.“
„Und welche wäre das?“
erkundigte sich Karl.
„Ich stemme einen Fuß gegen
seinen Gartenzaun und brülle — Tor!“
„Zu plump!“ entschied Tim. „Das
kennt er schon. Außerdem darfst du seinen Zaun nicht beschädigen.“
„Ich glaube, es genügt“, sagte
Karl, „wenn wir uns dort draußen sehen lassen. Daß wir im Nesswangl-See
schwimmen, kann er nicht verbieten. Aber es wird ihn stören. Denn wir sind da.
Wir beglotzen ihn und sein Haus. Wir führen laute Gespräche über die arme Oma
Habrecht.“
„Ausgezeichnet!“ nickte Tim.
„Das ist Nervenkrieg. Psychologische Zermürbung. Eine bewährte Masche beim
sogenannten Kalten Krieg, der ja bekanntlich immer im Konferenzsaal stattfindet
und mit vielen Umarmungen beginnt.“
Sie verabredeten sich.
Gleich nach dem Mittagessen
sollte es losgehen.
Treffpunkt war die Einmündung
der Nesswangl-See-Zubringer-Straße ins städtische Weichbild.
Gaby und Karl brauchten dann
keinen Umweg zu machen — und Tim und Klößchen nur einen kleinen.
Da sie sich immerhin für eine
Stunde und 37 Minuten trennen mußten, küßte Tim seine Freundin auf die Wange.
Die linke war heute dran. Er
wechselte das tageweise, nahm manchmal auch die Nasenspitze als Ziel. Mehr nie
— jedenfalls nicht in Gegenwart
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