Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Betörend wie der Duft der Lilien

Betörend wie der Duft der Lilien

Titel: Betörend wie der Duft der Lilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: AMANDA MCCABE
Vom Netzwerk:
Yorkshire verschwinden.
    Doch in Lord Westwoods Zügen lag nicht bloß Antipathie, sondern düsterer, geballter Hass, unverhohlen und sehr beängstigend.
    Calliope wich vor ihm zurück, bis sie mit der Hüfte an die Kante eines steinernen Sockels stieß. Sobald er ihre Verunsicherung bemerkte, trat wieder das übliche Lächeln an die Stelle der animalischen Wut.
    „Ich wusste nicht, dass Sie näher mit dem Duke bekannt sind“, sagte sie leise.
    „Sagen wir, ich kenne ihn besser, als mir lieb ist“, erwiderte Lord Westwood. „Wir haben gleichzeitig in Cambridge studiert, und er hat sich seither nicht grundlegend geändert. Er ist bestenfalls noch bösartiger und hirnloser geworden.“
    Bösartig und hirnlos? Der Duke war zweifellos eine Nervensäge und stand im Ruf, exzentrisch und habgierig zu sein – aber bösartig? Calliope war gespannt, ob Westwood das näher ausführen würde, aber er schwieg.
    Clio schien den theatralischen Auftritt des Mannes, für den sich im Saal überall eine breite Gasse öffnete, gar nicht bemerkt zu haben. Mit gerunzelter Stirn betrachtete sie die Statue einer Göttin. Zur Verblüffung seiner Begleiter wechselte der Duke plötzlich den Kurs und ging auf sie zu.
    Calliope sah verwirrt und zunehmend besorgt, wie er den Abstand immer weiter verringerte, bis seine juwelengeschmückte Hand Clios Arm streifte. Sie wirbelte erschrocken herum und taumelte gegen die Göttin.
    „Ihre Schwester sollte sich vor diesem Mann in Acht nehmen“, murmelte Westwood.
    „Ich kann mir nicht vorstellen, was er von ihr will. Wir kennen ihn doch kaum.“
    „Davon lässt er sich bei einer schönen Frau nie abhalten.“
    Calliope beobachtete, wie Clio die Hand an ihre seidene Haube legte – genauer: an die spitze Nadel, mit der diese in der Frisur befestigt war. Clios Miene war reglos, aber Calliope wusste, dass ihre Schwester im Notfall nicht zögern würde, dem Duke die Nadel in den Arm zu jagen – oder in empfindlichere Leibesregionen.
    Lord Westwood durchmaß eilig den Raum, streckte den Arm aus und schob den Duke regelrecht von Clio fort. Als der Herzog ihn blasiert angrinste, beugte Westwood sich vor und zischte ihm schroff etwas zu. Clio nahm die Hand von ihrer Haube und zog sich von den Männern zurück, und alle anderen Besucher rückten näher. Ein Streit zwischen einem Duke und einem Earl mitten im British Museum erlebte man schließlich nicht alle Tage.
    Wenn nur sie und ihre Schwester nicht so unmittelbar beteiligt gewesen wären! Trotz dieser Peinlichkeit konnte auch Calliope den Blick nicht von den beiden Streithähnen wenden: Westwood bebte vor Wut, und Averton grinste zwar noch immer, ballte aber vor Anspannung immer wieder die Hände zu Fäusten. Diese Szene passte weniger ins zivilisierte London als zu den steinernen Lapithen und Kentauren, die seit Jahrtausenden miteinander rangen.
    Calliope schüttelte ihre seltsame Faszination ab und eilte an Clios Seite. „Wir sollten Cory hier rausbringen, meinst du nicht?“
    Clio erzitterte, als habe auch sie unter einem eigentümlichen Bann gestanden, von dem erst Calliopes Stimme sie befreit habe. „Natürlich.“ Sie ging zu Cory hinüber und lockte sie offenbar mit dem neuerlichen Versprechen, die Mumien zu besuchen, aus dem Elgin-Saal.
    Sobald die beiden gegangen waren, trennten sich Westwood und Averton. Ohne sich noch einmal umzublicken, schritt Westwood hinaus. Der Duke zog seine Weste straff und kehrte lachend, als sei nichts gewesen, zu seinen Begleitern zurück.
    Verwirrt sah Calliope dem Earl nach. Wie unbeherrscht er wirkte! Während sie sich vorhin freundlich unterhalten und geneckt hatten, hatte sie sich im Stillen dafür gescholten, ihn je im Verdacht gehabt zu haben. Doch jetzt, nach seiner Konfrontation mit Averton, war sie sich sicherer denn je, dass er der Liliendieb war. Und sie war fest entschlossen, es zu beweisen.

5. KAPITEL

    Was soll’s, de Vere? Das Mädel ist eine Wirtshausdirne, die ist Freiwild!
    Obwohl seit jener Szene Jahre verstrichen waren, hallten die Worte des Dukes laut durch Camerons Kopf, und er sah wieder dieses selbstgefällige Grinsen vor sich, das erst gewichen war, als seine Faust mit Wucht auf Avertons Aristokratennase gelandet war. Weder dem kaum sechzehnjährigen Mädchen mit dem zerrissenen Kleid, das sich schluchzend in Sicherheit brachte, noch ihm selbst war damit viel geholfen: Ihm war klar, dass er nicht immer zur Stelle sein konnte. Averton würde weiterhin Mädchen misshandeln und

Weitere Kostenlose Bücher