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Betörend wie der Duft der Lilien

Betörend wie der Duft der Lilien

Titel: Betörend wie der Duft der Lilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: AMANDA MCCABE
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Haus eben sein kann. Die Statue bleibt, wo sie ist …“
    „Sie wird eben nicht bleiben, wo sie ist!“ Clio umklammerte den Knauf ihres Regenschirms wie den Griff eines Schwerts, sodass Calliope kurz um das Wohlergehen der vorbeischlendernden Besucher fürchtete. „Averton wird sie in seine schreckliche Festung in Yorkshire schaffen, wo sie nie wieder jemand zu Gesicht bekommt! Er ist ein gemeiner Egoist, dem seine Sammlungsstücke im Grunde nichts bedeuten. Findest du wirklich, dass die arme Artemis bei ihm besser aufgehoben ist als in den Händen des Liliendiebs?“
    Calliope biss sich auf die Lippe. „Lord Averton wird nicht umsonst ‚Lord Aversion‘ genannt; ich kann ihn ebenso wenig leiden wie du, Clio. Aber wenigstens wüssten wir, wo die Statue ist, und eines Tages könnte ein Museum oder ein verantwortungsbewusster Sammler sie erwerben. Wenn der Liliendieb sie an sich reißt, bleibt sie vielleicht für immer verschwunden.“
    „ Bei aller Liebe, Callie, manchmal bist du einfach völlig auf dem Holzweg.“ Regenschirmschwingend stolzierte Clio davon.
    Calliope schluckte und versuchte sich wieder auf den Fries zu konzentrieren. Clio und sie standen sich sehr nahe – verbunden durch ihre Leidenschaft für Geschichte und durch die Notwendigkeit, ihren jüngeren Schwestern die verstorbene Mutter zu ersetzen. Und sie wusste, dass Clios Wutausbrüche schnell verebbten. Aber unangenehm blieben ihre kleinen Auseinandersetzungen dennoch.
    Was ist es nur, das mich in letzter Zeit immer wieder anecken lässt, überlegte Calliope. Erst der Streit mit Lord Westwood, jetzt mit ihrer Schwester. Sie rieb sich die brennenden Augen, und als sie wieder sah, meinte sie zu halluzinieren: Neben ihr stand Lord Westwood. Die glänzenden Locken nachlässig aus dem markanten Gesicht gestrichen, das ihn selbst wie eine gemeißelte Statue wirken ließ, blickte er ernst auf sie herab.
    Sie blinzelte, aber er war immer noch da. Also atmete sie tief ein und warf ihm ein zaghaftes Lächeln zu. „Lord Westwood.“
    „Miss Chase. Ich hoffe, Sie genießen Ihren Ausflug?“
    „Ja, sehr. Meine Schwestern und ich kommen so oft wie möglich ins Museum.“ Sie wies auf Cory, die noch mit dem Pferdekopf beschäftigt war, und Clio, die sich gerade über sie beugte.
    „Auch ich komme oft her“, verriet er.
    „Tatsächlich? Ich … vermute, es erinnert Sie an das Land Ihrer Mutter“, erwiderte sie vorsichtig, um nicht gleich den nächsten Streit vom Zaun zu brechen. Aber konnte man sich überhaupt über diese umstrittene Sammlung unterhalten, ohne aneinanderzugeraten?
    Doch er sagte einfach: „So ist es. Als ich ein Kind war, hat sie mir viel von den Göttern erzählt – und von den Musen, natürlich.“
    Calliope lächelte. „Dann ist Ihnen sicherlich bekannt, dass Musen ausgesprochen wechselhaft sein können?“
    Er erwiderte ihr Lächeln mit einem Strahlen, das die düstere Ecke des Saals aufzuhellen schien. „Ich habe so etwas läuten hören, ja. Heute lacht einem die Muse, morgen ist sie einfach verschwunden. Vielleicht macht das gerade ihre Anziehungskraft aus.“
    Anziehungskraft? Dann fand er sie also … anziehend? Sie hatte eher mit Charakterisierungen wie „launisch“ oder „enervierend“ gerechnet. Aber dachte sie umgekehrt nicht genauso über ihn? Enervierend und zugleich irgendwie anziehend … „Manchmal vergisst eine Muse auch einfach jeden Benimm und sagt ungehörige Dinge. Dann muss sie sich entschuldigen.“
    „Ist es das, worauf Sie hinauswollen, Miss Chase? Eine Entschuldigung?“
    Calliope seufzte. „Ich fürchte, ja.“
    Er griff sich ans Herz und taumelte theatralisch zurück. „Dass ich das erleben darf!“
    Sie lachte. „Es wäre mir peinlich, wenn Sie mich für schlecht erzogen hielten, Lord Westwood. Ich hätte gestern Abend nicht so auf Sie losgehen dürfen. Meine Schwester hat mir geraten, es auf die aufwühlende Musik zu schieben, aber im Grunde weiß ich nicht, warum ich Ihnen das an den Kopf geworfen habe. Ich war nicht ganz bei Trost.“
    „Ich war in der Vergangenheit auch nicht immer nett zu Ihnen, Miss Chase. Vielleicht können wir noch einmal von vorne anfangen. Friede?“
    „Gut, Friede. Bis auf Weiteres.“
    „Bis auf Weiteres also. Darf ich Ihnen meine Lieblingsfigur zeigen?“ Er bot ihr seinen Arm, und obwohl sie nur ihre Fingerspitzen ganz sacht auf den Ärmel seines Rocks legte, spürte sie die Wärme seiner Haut und die Festigkeit der Muskeln, die sich unter den Stoffschichten

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