Betörend wie der Duft der Lilien
schrieb: Lord Westwood.
Ihre Schlafzimmertür quietschte. Calliope schob die Liste hastig unter einen Bücherstapel. „Arbeitest du, Callie?“ Clio ließ sich in einen Sessel neben dem Schreibtisch sinken. „Ich lese nur noch etwas, bevor ich mich wieder hinlege. Ich konnte nicht einschlafen.“
„Ich auch nicht.“ Clio strich über die Schnittkanten von Calliopes Notizbüchern. Sie war heute Abend ausgesprochen blass, und ohne den Schutz ihrer Brille zeigten sich unter den grünen Augen dunkle Schatten. Calliope hatte auch bemerkt, dass ihre Schwester kaum etwas zu Abend gegessen hatte.
Dieser verdammte Averton! Musste er ausgerechnet heute ins Museum kommen und ihre Schwester in Angst und Schrecken versetzen? Warum ausgerechnet Clio? Warum schloss sich dieser Verrückte nicht zu Hause bei seiner Alabastergöttin ein? Andererseits: Wenn er das täte, würden sie den Liliendieb nie erwischen. Die Alabasterstatue war ein perfekter Köder.
„Was hat er heute Nachmittag zu dir gesagt, Clio?“
Clio hielt den Blick starr auf die Notizbücher gerichtet. „Wer?“
„Averton natürlich. Du warst den ganzen Abend so still. Du hast nicht einmal richtig zugehört, als Vater uns aus der Aeneis vorgelesen hat.“
Clio zuckte mit den Schultern. „Ich bin einfach müde. Und Averton … ist völlig belanglos. Wie so viele Männer seines Schlags glaubt er, er könne einfach jede Frau umgarnen. Ach was, umgarnen: nehmen. Wie irgendein Elfenbeinkistchen oder eine Alabasterstatue aus einem Tempel. Wenn er auf eine stößt, die nichts mit ihm zu tun haben will, macht ihn das nur umso halsstarriger. Aber ich bin doppelt so hartnäckig wie er.“
Das stimmte; Calliope kannte keinen entschlosseneren, ja dickköpfigeren Menschen als Clio. Außer vielleicht Lord Westwood. „Mir war nicht einmal klar, dass du den Duke kennst.“
„Ich kenne ihn ja auch nicht. Oder will ihn zumindest nicht kennen. Wir sind uns ein, zwei Mal bei Ausstellungen begegnet. Er scheint irrsinnigerweise einen Narren an mir gefressen zu haben.“
Calliope sah ihre Schwester erstaunt an. Sie hatte immer gedacht, sie stünden sich besonders nahe, und doch hatte sie davon nichts gewusst. „Clio, warum hast du mir das nie erzählt?“
„Ich sag doch, Callie, es ist nichts!“ Jähzornig schlug Clio gegen den Notizbuchstapel, der prompt auseinanderflog und die Liste zum Vorschein brachte. Clio griff danach. „Was ist das?“
„Nichts.“ Calliope versuchte ihr den Zettel abzunehmen, doch Clio entzog sich.
„Lord Deering, Mr. Smithson, Mr. Lakesly. Eine Liste deiner Verehrer?“
„Ganz bestimmt nicht“, schnaubte Calliope. Sie riss den Zettel an sich, faltete ihn zusammen und steckte ihn in ein Buch. „Einen Verehrer wie Mr. Lakesly würde ich nie akzeptieren. Er spielt zu viel.“
„Mir ist auch Lord Westwoods Name aufgefallen. Den würdest du garantiert nicht als Verehrer dulden – obwohl ihr heute im Museum ein Herz und eine Seele wart.“
„Wir haben uns nur über griechische Mythologie unterhalten. Und die Liste hat etwas mit unserer morgigen Versammlung zu tun. Wir müssen Pläne für Avertons Ball schmieden. Es sei denn …“
„Es sei denn – was?“
Calliope biss sich auf die Lippe. „Es sei denn, du willst nicht zu ihm mitkommen. Was nur zu verständlich wäre.“
Clio ließ sich wieder in den Sessel fallen, verschränkte die Arme und setzte jene Trotzmiene auf, die Calliope seit ihrer Kindheit kannte. „Callie, also wirklich. Der Mann hat doch nicht versucht, mir die Kehle durchzuschneiden. Er hat nur ein paar … Dinge zu mir gesagt. Nichts, womit ich nicht fertig würde. Du weißt ja, dass man mich nicht wie eine Porzellanfigur behandeln muss.“
Calliope musste lächeln. Oh ja, das wusste sie allerdings! Als Kind war Thalia ihnen allen davongelaufen, eine wahre Atalante. Aber Clio war immer die Erste gewesen, wenn es darum ging, von einem Baum zu springen, als hätte sie Flügel, oder einen Fluss zu durchschwimmen oder auf einen Berg zu steigen. Der Duke würde schon noch merken, mit wem er es zu tun hatte!
„In Ordnung, Clio. Ich ziehe die Samthandschuhe wieder aus.“
„Also, erklär mir diese Liste. Ich wette, das sind deine potenziellen Liliendiebe.“
Calliope zog den Zettel wieder heraus und strich ihn glatt. „Ja. Einige sind etwas weit hergeholt, das gebe ich zu.“
„Etwas? Mr. Emerson kann eine Amphore nicht von einem Hufeisen unterscheiden. Und Lord Mallow ist so kurzsichtig, dass es an Blindheit
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