Betörend wie der Duft der Lilien
Spieltischen?“
„Ein Rätsel ist stets spannender als jedes Kartenspiel, Miss Chase. Und die verlorene Muse aufzuspüren ist interessanter als jeder Tanz – außer einem Tanz mit Athene, selbstverständlich.“ Sein Tonfall war unbeschwert, aber Calliope meinte in seinem Blick eine leichte Anspannung zu erkennen. Sie konnte Hilfe brauchen, denn allein hätte sie sich in diesem riesigen Mausoleum womöglich verlaufen.
Außerdem konnte er die Alabastergöttin nicht stehlen, solange er bei ihr war!
„Vielen Dank, Lord Westwood. Ich weiß Ihre Unterstützung zu schätzen.“
„Was!“, rief er spöttisch aus. „Calliope Chase weiß etwas an mir zu schätzen ? Unglaublich.“
„Meine Wertschätzung wird sich noch steigern, wenn Sie Clio tatsächlich finden.“
„Dann los. Ich kann es kaum erwarten, dass Sie mir noch einmal Ihre Dankbarkeit aussprechen.“
Allen Hindernissen geschickt ausweichend, führte er sie zum Ausgang des Ballsaals. Auch auf der kleinen Fläche zwischen Saal und Treppe, im Kartenspielzimmer und den Vorzimmern hielten sich Gäste auf, aber Medusa war nicht darunter. Clio steckte auch nicht im Damensalon, den Calliope allein kontrollierte, und niemand wusste etwas über ihren Verbleib. Noch beunruhigender war, dass auch der Duke schon eine Weile nicht mehr gesehen worden war, obwohl er als beliebtes Klatschobjekt stets unter Beobachtung stand.
„Haben Sie eine Ahnung, wo die Alabastergöttin stehen könnte, Lord Westwood?“, fragte Calliope. „Dann sollten wir zuerst dort nachsehen. Es sei denn, Sie glauben, dass der Duke ein geheimes Verlies hat …“
Er lachte freudlos. „Das wäre ihm zuzutrauen. Aber versuchen wir es erst mit Artemis.“
Er schritt auf einen leeren Korridor zu. Calliope blieb ihm dicht auf den Fersen, und sie ließen den Balllärm und die Festbeleuchtung hinter sich. Das Haus des Dukes hatte wirklich etwas von einer Krypta oder einer Katakombe, ein wahres Labyrinth aus Fluren und Kammern. Anders als in Rom beherbergten die Kammern aber keine menschlichen Gebeine und Ascheurnen, sondern Relikte verschiedener Kulturen. Überall Marmor und Basalt und Mosaiken, ohne jede erkennbare chronologische oder regionale Ordnung kunterbunt zusammengepackt.
Calliope dachte an die so ganz anders geartete Sammlung ihres Vaters, in der jedes Stück sorgfältig beschriftet und ordentlich hinter Glas aufbewahrt wurde. Nicht das Besitzen und Angeben war der Zweck des Ganzen, sondern Erkenntnisse und die Verbindung zu einer längst vergangenen Zeit. Es lag auf der Hand, dass der Duke dieses opulente Durcheinander aus griechischen, klassischen, ägyptischen, assyrischen, römischen und keltischen Gegenständen nicht als Quell des Wissens nutzte. Ihren wahren Wert vermochte er gar nicht zu erkennen.
Genauso wenig wie die Qualitäten ihrer Schwester – wo auch immer sie stecken mochte.
Vor Nervosität stolperte Calliope. „Hoppla!“
Westwood fing ihren Sturz ab, indem er ihre ausgestreckte Hand ergriff und ihr den anderen Arm um die Taille legte.
„Alles in Ordnung?“, fragt er mit belegter Stimme.
„Ich glaube ja.“ Calliope löste sich von ihm. Um des Schwindels Herr zu werden, der eher vom engen Körperkontakt als von ihrem Stolpern herrührte, lehnte sie sich an eine hohe Mädchenstatue. „Ich komme wir vor wie in einer Katakombe.“
„Eine treffende Beschreibung, Miss Chase. Lauter tote Dinge, fernab vom Licht des Tages.“
Sie betrachtete eine liegende ägyptische Löwin, deren angespannte Muskeln und Pfoten den Eindruck erweckten, als werde das Tier sich jeden Moment erheben. Wie wild es wirkte! Wie unglücklich über seine Gefangenschaft! Würde es zu fliehen versuchen, wie Daphne? „Sind die wirklich alle tot?“
„Sagen wir lieber: sie schlafen.“ Er fuhr mit den Fingern über den Löwenkopf, und Calliope glaubte fast, die Berührung selbst zu spüren. „Sie können in diesem düsteren Verlies nicht richtig atmen.“
„Genau. Hier ist niemand, der ihren wahren Wert zu schätzen weiß.“ Sie wandte den Blick von den Obsidianaugen der Löwin ab und sah Westwood direkt an. Im Halbdunkel wirkten seine Augen ebenfalls schwarz wie Obsidian und ebenso undurchdringlich. „Aber darüber, worin ihre wahre Bestimmung besteht, sind wir ja verschiedener Meinung.“
„Tatsächlich?“ Seine Finger schienen sich in der steinernen Mähne festzukrallen. „Ich glaube, wir stimmen viel weiter überein, als es zunächst den Anschein hatte, Miss Chase.“
Wenn das
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