Betörend wie der Duft der Lilien
Ritterlichkeit“, ergänzte Clio. „Kavaliere, die ihren Damen galant den Hof machen.“
Calliope zuckte zusammen, aber Averton lächelte nur.
„Genau wie in meinen Romanen“, schwärmte Lotty.
„Miss Price ist eine echte Romantikerin“, erklärte Thalia und lächelte Lotty milde zu.
„Schätzen Sie sich glücklich, Miss Price“, sagte der Duke. „Die meisten von uns zwingt das Leben, die Romantik von König Arthur durch den Pragmatismus von Karl dem Großen zu ersetzen.“
Karl der Große.
Eine Glocke wurde geläutet. „Ah, das Dinner wartet. Lady Kenleigh, darf ich Sie in den Speisesaal begleiten? Leider kann ich nicht mit einer Gastgeberin dienen, aber ich hoffe, die Kunst meiner Köche wird Sie diesen Makel vergessen lassen.“
Calliope sah sich nach Cameron um, aber er schien sich in Luft aufgelöst zu haben.
Natürlich gab es kein Wildschwein, das sie mit bloßen Fingern essen mussten, sondern ein formidables Festmahl, angefangen mit den Ragoutpastetchen bis hin zur Himbeer-Charlotte. Das Gespräch drehte sich vor allem um die Sammlung des Dukes und um die Reisen aller Anwesenden.
Calliope hörte kaum zu und behielt vor allem Clio im Blick, die zum Glück weit vom Gastgeber entfernt saß. Ihr fiel auf, dass ihre Schwester kaum etwas aß, aber umso mehr Wein trank. Auch Cameron, der zur Tür hereingeschlüpft war, als gerade die Suppe aufgetragen wurde, verhielt sich seltsam.
Calliope nippte an ihrem Wein und fragte sich, ob sie womöglich schon wieder in einen Traum geraten war: eine seltsame Mischung aus Antike, Mittelalter und Gegenwart, in der vertraute Gesichter fremd wirkten und sie plötzlich gar nichts mehr verstand. Jeder hier im Raum konnte hinter den Namen auf der Liste stecken. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und nach London zurückgelaufen, wo sie sich die Bettdecke über den Kopf ziehen konnte. Zurück in die Zeit vor dem Liliendieb. Und vor ihrer Liebesnacht mit Cameron? Oh nein, für sie gab es kein Zurück mehr.
Sie sah zu ihrem Geliebten hinüber, der scheinbar unbeschwert mit Lotty plauderte. Wie schön er war, ihr verwegener griechischer Gott. Er scheute sich offenbar, ihr mitzuteilen, was er herausgefunden hatte, weil er ihr den Schmerz ersparen wollte, und sie liebte ihn für diese Skrupel. Aber wenn der Duke oder irgendein Fremder der Liliendieb wäre oder Mr. Smithson oder Freddie Mountbank, dann würde ihr das nicht wehtun. Folglich musste es jemand sein, der ihr sehr nahe stand …
„… nicht wahr, Miss Chase?“
Verwirrt sah Calliope Herrn Müller ins Gesicht, der sie erwartungsvoll anblickte. „Oh doch, genau“, antworte sie. Hoffentlich hatte sie keinem allzu großen Unsinn beigepflichtet!
„Da hören Sie es, Euer Gnaden: das Urteil einer Muse“, sagte Herr Müller auftrumpfend.
Der Duke lächelte und bedachte Clio, die das Fleisch auf ihrem Teller in immer kleinere Stückchen zerteilte, mit einem langen Blick. „Musen sind keine verlässlichen Bündnispartnerinnen, Herr Müller. Sie können sich von einem Augenblick zum nächsten von einem abwenden.“
Nach dem Mahl kehrten die Damen in den Salon zurück, während die Herren sich noch einen Brandy genehmigten. Clio entschuldigte sie; sie wollte ihr Schultertuch holen.
„Was für ein charmanter Mann der Duke ist“, meinte Lady Kenleigh, als sie vor dem Kamin Platz nahm. „Ich hatte ihn bislang für überheblich gehalten.“
„Sind nicht alle Herzöge überheblich, Mama?“, scherzte Emmeline. „Das dürfte erblich sein, genau wie der Titel.“
Die anderen lachten, aber Lady Kenleigh widersprach: „Dein Vater war eng mit dem Duke of Rothheil befreundet, und der war überhaupt nicht arrogant.“
Sobald es ging, entschuldigte sich Calliope und schlenderte unauffällig zum anderen Ende des Saals, um die verborgene Tür näher zu untersuchen. Sie schlüpfte hinter den Wandteppich, tastete nach dem Knauf und drückte die Tür langsam auf.
Ein Schwall kalter Luft wehte ihr ins Gesicht. Hinter ihr hörte sie gedämpft die Stimmen ihrer Freundinnen. Vor ihr lag hingegen das Unbekannte, kühl und dunkel bis auf einen schwachen Schimmer in der Ferne.
Die alte, besonnene Calliope hätte auf der Stelle kehrtgemacht, aber diese Calliope gab es nicht mehr. Da sie wohl kaum in den Speisesaal hineinplatzen und Cameron holen konnte, musste sie diese Chance nun alleine am Schopf ergreifen. Nur ein kurzer Blick, versprach sie sich selbst. Dann hätte sie Cameron im Gegenzug zu seinen Neuigkeiten auch
Weitere Kostenlose Bücher