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Betörend wie der Duft der Lilien

Betörend wie der Duft der Lilien

Titel: Betörend wie der Duft der Lilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: AMANDA MCCABE
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beschützen?“
    „Ja, um sie zu beschützen und …“
    „Und – was?“
    Clio zog die Schultern hoch. „Ach, nichts.“

21. KAPITEL

    Als ihre Kutsche am nächsten Abend die steile Auffahrt zu Averton Castle hinauffuhr, fühlte Calliope sich wirklich ins Mittelalter versetzt, auch wenn diese uneinnehmbare Festung auf der zerfurchten Hügelkuppe womöglich erst später erbaut worden war. Durch die schmalen Fenster drang warmes Licht, das dem schroffen Gemäuer fast etwas Anheimelndes gab. Sie hätte sich nicht gewundert, wenn ihnen ein paar Ritter in voller Rüstung entgegengekommen wären, als die Kutsche die Brücke über dem trockenen Burggraben passierte und in den Innenhof einbog.
    In der Mitte dieses mit Kies bedeckten, von hohen Mauern umschlossenen Rechtecks stand ein alter Ziehbrunnen, der zum Springbrunnen umgebaut worden war, und zwei Fackelreihen wiesen ihnen den Weg zum Haupteingang.
    „Wir hätten uns wirklich Spitzhauben und Schleier besorgen sollen“, meinte Clio.
    Calliope lachte. Auch ohne solche Requisiten wirkte Clio in ihrem dunkelbernsteinfarbenen Gewand mit den langen, in Falten gelegen Ärmeln und einer breiten, mit Drachen und Blumen bestickten Schärpe heute leicht altertümlich. Zum ersten Mal seit Tagen war ihr Blick ungetrübt und ihr Lachen ungehemmt. Entgegen Calliopes Bedenken schien diese Einladung ihr gutzutun.
    „Eine Spitzhaube hätte deine Frisur ruiniert“, meinte sie, während sie aus der Kutsche stiegen.
    „Und zu meiner Brille hätte sie auch nicht gepasst. Was meint ihr: Wird es ein ganzes Wildschwein geben, das wir mit den Fingern zerpflücken müssen?“
    „Das wäre allemal spannender als noch ein Vortrag von Herrn Müller“, murmelte Thalia hinter ihnen. „Wenn es zu langweilig wird, gehe ich Verliese und Geheimgänge suchen. Die gibt es hier bestimmt – um bei einer Belagerung heimlich entwischen zu können.“
    Sie folgten den anderen aus dem Foyer in den Salon. Dieser entpuppte sich als regelrechte Halle: ein lang gestrecktes Rechteck mit Kaminen an beiden Schmalseiten, groß genug, um ganze Ochsen darin auf dem Spieß zu braten. Die hoch auflodernden Flammen schafften es, jede Kälte zu vertreiben, obwohl der Boden und die Wände bis hinauf zu den Dachbalken aus nacktem Stein waren. Auch die Möbel wirkten uralt: wuchtige dunkle Stücke mit eingeschnitzten Waldszenen und Tierfratzen. Auf den Sesseln lagen zahlreiche Kissen aus goldfarbenem Samt, und an den unverputzten Wänden hingen große Gobelins, auf denen Ritter und Adelsdamen dargestellt waren.
    „Seine Gnaden wird sich bald zu Ihnen gesellen“, kündigte ein Lakai an. Kaum hatte er die schwere Tür von außen zugezogen, als säßen sie im Gefängnis, redeten alle heiter durcheinander.
    „Averton soll ja ein noch größerer Exzentriker sein als sein Großvater – und den nannte man schon ‚den verrückten Duke‘“, erzählte Lady Kenleigh und setzte sich vor einen Kamin. „Kennen Sie sein Stadthaus? Eine regelrechte Lagerhalle …“
    Thalia hatte in einer Ecke ein paar alte Spinette entdeckt, Clio sah sich die Bildteppiche an, und ihr Vater war in ein Gespräch mit Lady Rushworth verstrickt: eine gute Gelegenheit für Calliope, mit Cameron zu reden. Seit ihrem Stelldichein im Wald hatten sie sich nicht mehr gesprochen, und das war vielleicht ganz gut so, denn es war ihr peinlich, wie sie ihn verführt hatte. Doch auch wenn sie ihn mied, wusste sie stets, wo er stand; es war, als spüre sie die Wärme der griechischen Sonne, die von ihm ausstrahlte.
    Im Augenblick betrachtete er am anderen Ende des Saals einige griechische Vasen in einer Vitrine. Calliope schlenderte zu ihm hinüber.
    Er wandte sich nicht von den Exponaten ab, aber plötzlich huschte ein Lächeln über sein Gesicht. „Außergewöhnlich, nicht wahr?“
    Calliope sah sich die glänzenden, perfekt erhaltenen Vasen genauer an. Zweifellos war dies nur eine kleine, erlesene Auswahl aus der riesigen Sammlung des Dukes. Sie erkannte ein Stück des Andokides-Malers, das kupferrote Figuren auf samtschwarzem Hintergrund zeigte. Auf einer Amphore war eine Feier festgehalten: angeheiterte Tänzer, deren Drehungen und Verrenkungen geradezu akrobatisch wirkten.
    Calliope beugte sich vor, um eine griechische Inschrift zu entziffern, die knapp über dem Boden der Amphore eingeritzt war.
    „Diese Stücke sind unglaublich – sie sehen aus wie neu! Wo hat der Duke sie bloß her?“
    „Vermutlich direkt aus der griechischen Erde“, murrte

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