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Betörend wie der Duft der Lilien

Betörend wie der Duft der Lilien

Titel: Betörend wie der Duft der Lilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: AMANDA MCCABE
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etwas zu erzählen. Entschlossen drückte sie die Tür hinter sich zu.
    Die Treppe führte steil zu jenem schwachen Schimmer hinauf. Fröstelnd zog Calliope sich ihre Stola um die Schultern und eilte nach oben, bevor der Mut sie verlassen konnte. Musen mochten zwar unstet sein, aber feige waren sie sicher nicht!
    Das Licht stammte von einer Laterne, die am Anfang eines schmalen, völlig fensterlosen Gangs hing, vermutlich tief im Inneren des Schlosses. Die Wände waren enttäuschend kahl. Calliope seufzte. Was hatte sie denn erwartet? Truhen voller Edelsteine? Einen Brief, in dem stand: „Ich bin der Liliendieb – gezeichnet: Duke of Averton“? Gerade als sie die Treppe wieder hinuntergehen wollte, klapperte etwas im Gang, und sie wirbelte herum.
    „Wer ist da?“, rief sie.
    „Ich hätte wissen müssen, dass wir uns hier treffen“, sagte Cameron und trat aus dem Dunkel des Korridors.
    „Cameron!“ Sie stürzte den Gang entlang und warf ihm die Arme um den Nacken. Er hielt sie fest und hob sie hoch. Wie gut er sich anfühlte, so warm und so stark! „Was treibst du hier? Ich dachte, du wärst im Speisesaal!“
    „Ich habe ihnen erzählt, ich müsste … äh … dem Ruf der Natur folgen. Und du?“
    „Dieselbe Ausrede. Ich musste einfach wissen, was hinter dieser Tür steckt.“
    „Meine Athene!“ Er küsste ihr Haar, setzte sie ab und ergriff ihre Hand.
    „Wohin führt denn der Gang?“
    „Zu einer weiteren Tür. Komm, ich zeige sie dir.“ Er nahm die Laterne an sich und ging vor Calliope her. Als er die zweite Tür öffnete, blickte sie ihm neugierig über die Schulter.
    „Noch eine Treppe?“
    „Ja, aber diese führt hinab in den Bauch der Erde, genau wie im Garten von Kenleigh Abbey. Möchtest du umkehren?“
    Calliope war hin und her gerissen. „Das dürfte unsere einzige Chance sein. Lass uns weitergehen.“
    Er schmunzelte. „Dann los. Tritt nur nicht auf die Ratten.“
    Ratten! Calliope hob den Saum ihres Kleids an und schritt hinter Cameron die Stufen hinab. „Athene musste sich nie mit Ratten herumschlagen“, murrte sie.
    „Nur mit Trojanern. Und Persern.“
    Am Fuß der Treppe erwartete sie eine weitere Treppe.
    „Werden wir uns nicht verlaufen?“
    „Und bis ans Ende unserer Tage in den Eingeweiden des Schlosses herumirren? Nein, keine Sorge. Schau nur.“
    Hinter dieser Tür verbarg sich kein leerer Gang, sondern ein Raum. Als Cameron die Laterne hochhielt, atmete Calliope scharf ein.
    Die Kammer war mit Schätzen angefüllt. Einige, zum Beispiel den Sarkophag, meinte sie schon in Acropolis House gesehen zu haben, aber viele andere waren ihr neu: eine barbusige Schlangengöttin und ein verzierter Bronzedolch aus Knossos. Goldene Becher aus Lakonien. Eine kopflose Marmor-Aphrodite und ein körperloses Kriegerhaupt. Ein gravierter Bronzespiegel.
    Und an der gegenüberliegenden Wand thronte über all dem, mit erhobenem Bogen, die Alabastergöttin auf ihrem reparierten Sockel.
    Sie war jedoch nicht allein. Zwei Gestalten standen wie Götzendiener vor ihr. Sobald der Lichtkegel der Laterne sie streifte, wirbelten sie herum, und eine Brille blitzte auf.
    „Clio!“, rief Calliope. „Was tust du hier?“ Der Mann an der Seite ihrer Schwester sah aus wie ein Zigeuner: langes, rabenschwarzes Haar, ein goldener Ring in einem Ohr. Er war groß und sehr schlank, sogar noch schlanker, als er nachts im Abteigarten gewirkt hatte. Schweigend sah er Calliope an.
    Zu Clios Füßen lagen eine offene Werkzeugkiste, Hämmer und schlanke Meißel. Clio hielt eine lange Metallstange in der Hand, deren Ende unter dem reparierten Sockel steckte.
    „Nein“, flüsterte Calliope. „Das kann nicht sein.“
    Die Stange fiel scheppernd zu Boden, und Clio streckte die Hände aus. „Callie, es tut mir so leid! Ich wollte dich nicht …“
    „Sieh an, sieh an. Wenn das nicht die violette Hyazinthe ist“, sagte der Duke of Averton, der plötzlich hinter Calliope und Cameron in der Tür stand. „Und … lassen Sie mich raten … der goldene Falke?“ Sein kaltes, grimassenhaftes Lächeln ließ Calliope erzittern. „Und Westwood – das sollte mich nicht überraschen. Was für eine gemütliche Zusammenkunft.“
    Außer dem Wind, der durch den Gang pfiff, und einem rhythmischen Tropfgeräusch war alles still. Dann hob Clio die Stange wieder auf; das metallene Ende schabte enervierend laut über den Boden.
    „Oh nein, meine Liebe“, sagte Averton traurig. „Das ist keine gute Idee.“

22. KAPITEL

    Das

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