Betörende Versuchung
Mit dem Daumen strich er die Innenseite ihres Handgelenks hinauf, wo der Handschuh endete und die Haut unbedeckt war. Und dann spürte sie seine warme, feuchte Zungenspitze, die denselben Weg nahm ...
Arabella war sprachlos. Bei Gott, stattdessen war er mit seiner Zunge darüber gefahren!
Kaum dass sie zu Hause war, wurden ihre weißen Spitzenhandschuhe in die unterste Schublade verbannt - sie sollten nie wieder getragen werden, das schwor sie sich. Danach ging sie schnurstracks zur Waschschüssel, wo sie die gewissermaßen geschändete Hand genauso schrubbte wie früher ihre Sommersprossen. Diesen Kerl nie wieder zu sehen, würde ihr sehr gefallen!
Wenn das Glück gnädig war, dachte sie finster, ging er vielleicht wieder auf den Kontinent oder wo immer er auch gewesen war. Das war natürlich j etzt höchst unwahrscheinlich ...
In zwei Tagen hatte sie ihn zweimal gesehen. Zweimal. Würde ihn das Unglück ein drittes Mal ihren Weg kreuzen lassen? Aber was sollte sie schon machen? Sie konnte ihn kaum den Rest der Ballsaison lang meiden.
Und Arabella bereitete die Aussicht, Justin wieder zu sehen, nun in der Tat keine Freude. Schon am nächsten Tag musste sie erneut daran denken, denn es stand der Maskenball bei Lady Melville in Vauxhall Gardens auf dem Programm. Tante Grace war unglaublich entzückt gewesen, als die Einladung eintraf. Wenn sie Recht behielt, würden sicherlich tausend Gäste anwesend sein. Arabella hatte das alles auch ganz aufregend gefunden; vor kurzem hatte sie nachmittags in Vauxhall beobachtet, wie ein He iß luftballon aufsti e g. Nach Einbruch der Dunkelheit mussten diese Gärten wohl wahrhaft zauberhaft sein.
Aber das war, bevor Justin aufgetaucht war.
Jetzt hätte sie laut losheulen können. Würde er auch dort schon wieder anwesend sein?
Sie hoffte, nicht. Sie betete, dass er nicht da wäre.
Bei der Vorstellung, ihn zu sehen und nicht wissen zu können, was er als Nächstes vorhatte, erfüllte sie mit Angst. Letzte Nacht, mit ihm zu tanzen ... Er hatte nicht gelogen. Er war wirklich ein ausgezeichneter Tänzer. Und sie war sich so ungeschickt vorgekommen! Er hatte sie ständig zu nah an sich heran gezogen. Sie wusste noch genau, wie sich seine Hand um ihre Taille angefühlt hatte, und die Wärme, die er ausstrahlte, eine Wärme, die sie ganz durchdrang. Und wie dann seine Zunge über ihre Haut geglitten war ... du lieber Himmel, seine Zunge! Und außerdem sah er einfach viel zu gut aus, und sein Benehmen war viel zu ungehörig. Am schlimmsten war jedoch seine absolute Unberechenbarkeit.
Sie vertraute ihm kein bisschen, denn sie hegte den leisen Verdacht, dass es ihm Vergnügen bereitete, sie zu quälen. Mit Freuden würde er sie bloßstellen, davon war sie überzeugt.
Nein, nein, über ein Wiedersehen würde sie sich nun wir klich nicht freuen. Fast f ürchtete sie sich sogar davor.
Das Ärgerlichste war j edoch, dass sie nicht aufhören konnte, an ihn zu denken!
Als Tante Grace später in den Salon schaute , fand sie Arabella auf einem Schränkchen beim Fenster sitzend. Sie starrte in den Garten. »Meine Liebe, ich muss wirklich sagen, du siehst aber ziemlich missmutig aus. «
Arabella sah auf. »Tante! Ich wusste ja nicht, dass du schon zurück bist. « Tante
Grace hatte mit einigen Freundinnen Besorgungen gemacht. Einladend klopfte Arabella auf das Kissen neben sich.
Tante Grace setzte sich zu ihr, wobei sie ihre Röcke mit leichter Hand ordnete. »Liebes, ich habe ganze fünf Minuten lang von der anderen Seite des Zimmers zugesehen, wie du ein langes Gesicht ziehst und unruhig hin und her rutschst. Was geht dir denn so durch den Kopf? «
Arabella atmete tief durch. »Nichts. «
Tante Grace betrachtete sie einen Moment lang und spitzte dann die Lippen. »Haben dir irgendwelche Gentlemen heute Nachmittag ihre Aufwartung gemacht? «
Arabella schüttelte den Kopf.
Die grauen Augen der Tante blickten sie an. »Ah, deshalb -«
»Ach, das ist es doch gar nicht ! Ich hatte einfach mal Zeit für mich - und ich habe wirklich jede Sekunde davon genossen.« Jedenfalls die paar Sekunden, in denen sie nicht an Justin Sterling gedacht hatte.
Tante Grace war überrascht über ihre Heftigkeit. »Ich hatte ja keine Ahnung, dass du so unglücklich bist, Liebes.«
»Aber ich bin doch gar nicht unglücklich!« , beeilte sich Arabella zu versichern. »Ich liebe es, hier zu sein, bei dir und Onkel Joseph. Und auch London mit all der Fröhlichkeit und den Festen. Aber diese ganze
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