Betreutes Trinken
für gewisse Stunden, empfohlen für die Altersgruppe von 18 bis 98. Katja kann meine Freude nicht uneingeschränkt teilen. »Dement im Heim, ja? Hoffentlich hält sie durch bis Raffi zurückkommt.«
Stimmt. Wenn einer schwerkranken, verwirrten Frau auch noch die letzte Bezugsperson fehlt, kann sie schneller eingehen als eine Primel. Aber vielleicht ist sie ja schon so weit, dass man ihr einen in Bier getränkten Labrador als Ersatz unterjubeln könnte, bis der Scheiß-Raffi damit fertig ist, kaputt zu sein. Apropos dämliche Ablenkungsmanöver.
»Wollt ihr was trinken? Es ist fast sechs Uhr.«
Marie hat sich unauffällig hinter ihre sichere Theke geflüchtet, Katja und ich sind so erschöpft, dass uns auch nichts Besseres einfällt als die Hocker aus den Folien zu zerren und uns darauf fallen zu lassen. Ich stütze die Ellenbogen an der von mir markierten Position auf die Theke. Fantastisch. Wenn ich hier für immer hocken bleibe, muss man gar nicht nochmal neu lackieren und die Flecken auf meinen Armen fallen auch gar nicht auf. Ich verzichte darauf, Katja diesen Vorschlag zu unterbreiten; sie wird es nur als Beweis für meine angebliche Festgefahrenheit sehen.
»Danke, kein Bier für mich«, lehnt Katja die dargebotene Flasche ab, »das würden Männer jetzt trinken.« Marie schaut sich im Regal nach einem passenden Getränk für Schwerarbeiterinnen um. Da kein Eierlikör vorrätig ist, entscheiden wir uns für Leitungswasser aus Weizengläsern.
Wir trinken schweigend. Dabei starren wir auf die altertümlichen Urinale. Das Wasser schmeckt auf einmal leicht nach Klostein, Marie schenkt eine Runde Rum-Cola aus. Besser.
»Ich kann mich nicht mehr bewegen«, maunzt Katja.
Marie horcht, kneift die Augen zusammen, und schaut uns dann ratlos an: »Ich habe keine Ahnung, was Linda trinkt«, gesteht sie, Sekunden bevor Toddys bessere Hälfte durch die Tür tritt.
»Entschuldigt, ich bin zu früh da«, grüßt sie, bevor ihr Blick auf die Trümmer fällt: »Oh, das wäre auch was für mich gewesen. Ich hätte bezahlt dafür.«
Sie schnappt sich einen Hocker, rollt ihn hinter die Theke und setzt Marie darauf. Ein kräftiges Mädchen, sie hätte gebührenfrei den Hammer schwingen dürfen.
»Soll ich die Theke jetzt übernehmen oder erst den Schutt wegräumen, Chefin?«
»Nix da«, befiehlt die, »das ist keine Frauenarbeit. Heute nicht. Trink einen mit uns, wir feiern das Ende des Patriarchats!«
»Bisschen spät. Ich meine, früh«, wirft Katja nach einem Blick auf die Uhr ein. Rum-Cola geht ihr immer sofort aufs Zeitgefühl. Bei mir trifft es das Sprachzentrum. Bestimmte Artikel verschwinden schneller als im Sommerschlussverkauf: »Wo drückt Schuh, Linda? Auch Ärger mit Kerle?«
»Oh Doki, das war mit Abstand die schlechteste Vladimirkopie aller Zeiten«, stöhnt Marie, und Linda leert ihr Glas in einem Zug. Auch eine Antwort, aber sie verbalisiert sie zusätzlich: »Toddy, der Traumtänzer«, knurrt sie, »meint, er hat jetzt den Drummer gefunden, mit dem die Band den Durchbruch erreichen wird. Natürlich noch heute Abend, weil der Typ noch in vier anderen Bands trommelt. Juhu.«
Selbst Marie lacht trocken auf. Durchbrüche sind Frauensache, und Schlagzeugern sollte man sowieso nicht trauen. Aber Linda kann noch mehr erzählen: »Ich fahre ihn also zum Proberaum, und da ruft mich mein Chef an, um zu sagen, dass er mich in eine andere Filiale versetzen will. Und dann habe ich noch einen Strafzettel bekommen, weil ich am Steuer telefoniert habe, und wisst ihr, was mein Freund dazu gesagt hat, als ich ins Lenkrad gebissen habe, wisst ihr es?«
Wir wissen es: »Luxusgejammer!«
Linda knirscht mit den Zähnen: »Ja, genau. Trinken wir noch einen, Ladies?«
Natürlich.
Als um zehn nach acht der erste Gast hereinschneit, hat er doppelt Pech. Er ist ein Kerl und dazu noch ein fremder: »Ich weiß nicht, was du trinkst, also hau ab, du!« zischt Marie durch die Zahnlücke, der Jungspund erbleicht: »Ich bin’s. Luis. Du kennst mich, Marie. Ihr kennt mich alle. Ich trinke …«
»Ja, Typen wir dich kennen wir«, grölt Linda.
»Kennnssse einen, kennnsssse alle!«, füge ich wortgewandt hinzu.
»Du trinkst gar nichts«, bestimmt Katja.
Luis widerspricht nicht. »Kann ich wenigstens kurz aufs Klo?«, fragt er, aber ich glaube, das will er gar nicht. Nicht, nachdem er die fehlende Wand gesehen hat.
»Oh, bitte, genier dich nicht, auf geht’s Cowboy!«, feuert Katja ihn an. Wir klatschen in die Hände, und
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