Betreutes Trinken
die kritische Grenze gegangen, habe sie sogar überschritten, nur, um nicht nur den akuten Konflikt, sondern das ganze Muster aufzulösen, das meine Beziehungen zu Männern immer wieder belastet hat. Zusätzlich kann ich mir noch ein goldenes Sternchen ins Heft kleben, weil ich nach dieser emotional aufgeladenen Situation auf Versöhnungssex verzichtet habe. Eine junge Mutter blinzelt mir solidarisch zu. Sehr solidarisch.
Gut, es gibt Rückschläge, an denen man nie verzweifeln darf. Ich erteile mir ein Alkoholverbot auf unbestimmte Zeit, ziehe den Bauch ein und gehe meiner Arbeitsstätte entgegen, entschlossen, zum nächstmöglichen Termin, also kurz nach Erhalt meines Lottogewinnes, zu kündigen, um in einer Scheißkneipe zu ackern, die noch nicht einmal mir gehört.
Das Leben ist so unberechenbar wie die Katze von nebenan. Im Anker ist heute weder der Handschuh noch der Baseballschläger angesagt, es wird Schmusekurs gefahren.
»Hallo Margret, die Krankmeldung reiche ich nach«, lautet mein Gruß, der mit einem Lächeln quittiert wird. Meine Chefin sieht gut aus. Ihre Locken sind frisch aufgeplustert und sie hat sich in einen funkelnagelneuen Poncho geworfen. Ihre Wimpern sehen zum ersten Mal nicht so aus, als hätte sie ein Plattencover von Hildegard Knef als Styling-Vorlage genutzt.
»Ah Doris, komm doch mal zu mir. Nimm dir einen Kaffee mit.«
Es müssen aufregende Neuigkeiten sein. Vielleicht hat sich Margret morgendlichen Beischlaf in ihrem Hausflur gegönnt. Etwas in der Kategorie scheint sie mir zumindest mitteilen zu wollen. Sie rollt mit dem Bürosessel von einem Schreibtischende zum anderen, lächelt mich verklärt an: »Die Krankmeldung kannst du nachreichen. Eilt nicht.«
Wer immer der Mann war, der meine Chefin in diese Hochstimmung versetzt hat, ich werde ihm Blumen schicken.
»Doris, ich habe mit Kira schon geredet. Danke für das Praktikumszeugnis, dass du für sie erstellt hast. Also, ich denke, wir werden sie übernehmen. Ja. Werden wir. Ist eine gute Lösung.«
Jetzt muss ich wohl etwas sagen. Vielleicht, dass ich das auch für eine gute Lösung halte. Oder Margret will es aus meinem eigenen Mund hören: Ja, ich will. Kündigen.
»Das mit deiner Kündigung, hm, ja, das kriegen wir schon hin. Also, du musst sie mir schriftlich einreichen. Zum 30.09. eigentlich, klar. Aber du hast ja noch Resturlaub.«
Habe ich? Wie schön. Wie viel denn?
»Also, das können wir ein bisschen schummeln … schieben. Lass dich doch einfach noch zwei, drei Wochen krankschreiben und den Rest feierst du als Überstunden ab. Oder so.«
Oder so? Wer immer Margret das Hirn rausgevögelt hat, ich will die Adresse von dem Mann.
Warum guckt sie mich so an?
Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, sie will mich loswerden. So schnell wie möglich. Könnte mich fast ein bisschen kränken, wenn ich den Laden nicht so satt hätte.
Okay, machen wir das eben so. »Dann … bin ich wohl raus hier.«
»Ja. Ja. Hier bist du dann raus. Genau. Aber du bleibst dabei? Ich meine im sozialen Bereich?« So sozial wie hier? Wenn es irgendwo noch eine Stelle gibt, bei der man fünfzig Urlaubstage zum Abschied geschenkt bekommt, dann bleibe ich ganz klar am Ball.
Andererseits: »Ich weiß noch nicht. Ich wollte mich mal neu orientieren, also, versteh das nicht falsch …«
»Ne, super. Find ich gut, mach was ganz Neues, Doris.«
Wenn Margret es sagt, ist es wohl offiziell.
Sollte ich noch Interesse für laufende Projekte heucheln? Schaden kann es nicht: »Also – dieses Poetry-Slam-Zeugs mit dem Fernando, das zieht ihr aber durch. Mit Kira, oder?«
Margret nickt, die Locken hüpfen auf und ab »Klar. Jetzt erst recht. Das ist genau das, was wir brauchen. Und die Kids auch.«
»Besser als Drogen«, stimme ich ihr zu.
Margret versteht den Gag: »Tja Doris, wir werden dich hier vermissen. Deinen Humor, nicht zuletzt. Aber so ist es für alle das Beste. Muss man ja mal so sehen. Auf breiterer Ebene. Realistisch. Klarer Schnitt, irgendwie.«
So läuft das mit dem goldenen Handschlag im sozialen Bereich. Zum Abschied bekommst du noch mal das große Potpourri der schlimmsten Floskeln, damit du dem Job auch keine Träne nachweinst. Oder den Leuten. Außerdem darf ich meine Kündigung direkt im Büro schreiben. Ich brauche sehr lange für die paar Zeilen.
Irgendwann drucke ich meine Kündigung aus und unterschreibe sie.
Und sitze einfach da. Schaue mir alles an, was auf Margrets Schreibtisch herumliegt, aber nicht
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