Betreutes Trinken
zu gründlich. Natürlich fällt mein Blick auf die Adressliste der Kliniken. Ich sehe den Kalendereintrag, die Ausrufezeichen, meinen Namen, rot unterstrichen. Und der Aktenordner an der Seite ist auch nicht zu übersehen. Aber der ist verschlossen. Würde Margret wollen, dass ich mir den Inhalt dieses Ordners durchlese, hätte sie ihn offen liegen lassen, oder? Bestimmt.
»Dann ist das ein klarer Schnitt, sauber raus«, so ähnlich hat sie das doch gerade gesagt, nicht? Und um eine gewisse Telefonnummer herauszubekommen muss ich gar nicht diesen Ordner öffnen, die kriege ich auch aus dem Telefonbuch heraus, so viele Menschen mit dem Doppelnamen gibt es nicht in dieser Stadt. Ich werde jetzt auf keinen Fall dort anrufen. Später vielleicht, doch. Wenn ich mich neu orientiert habe.
Als Margret nicht wieder auftaucht, gehe ich zur Hintertür hinaus.
Das war das. Einfacher als ein Sechser im Lotto, aber auch überraschender.
Gunnar wird mir das nicht glauben, also erzähle ich es ihm gar nicht direkt.
Das endet nur wieder in Ärger, Diskussionen und der Feststellung, dass ich vollkommen verantwortungslos bin. Katja kann ich auch nicht anrufen, die würde mir dasselbe erzählen.
Ich gehe in die Innenstadt, kaufe mir einen entsetzlichen Bikini und ein Handtuch.
Um das Gefühl zu haben, dass ich noch ein wenig für mein Geld arbeite, gehe ich schwimmen, statt faul in der Sauna herumzuhängen.
XXXII
E rst an der Supermarktkasse stelle ich fest, dass ich seit heute Morgen mit niemandem mehr gesprochen habe.
»Nein, leider habe ich es nicht kleiner«, sind meine ersten Worte in Freiheit, als ich mit Andis Fünfziger wedele. Dieses Mal habe ich vernünftiger eingekauft. Es gibt gesundes, frisches Gemüse. Zwiebelkuchen mal anders, nämlich ohne Federweißer.
Der Schlüssel zur Kneipe steckt wieder in der Mülltonne, und es steht sogar ein neuer Herd dort, wo der alte stand. Wer hat den bezahlt?
Marie hat geputzt. Und die von Gunnar empfohlene Gipswand gezogen. Einen PVC-Boden auf der Bühne verlegt. Die Technik angeschlossen. Das wohl eher nicht.
»Vladimir?«, rate ich mal, und Marie seufzt: »Der muss kurz nach Ladenschluss hier reingekommen sein. Hat bestimmt alles alleine gemacht, wie ich ihn kenne.«
Unser Heinzelmann, er muss sich halb tot geackert haben. Und hat sich sogar noch Zeit für Schnickschnack genommen. Am oberen Ende der Wand hat er ein Zebrastreifenmuster aufgepinselt, um das Design der Hocker aufzunehmen. Auf dem Rest der Wand hat er die Streifen schon mit Bleistift vorgezeichnet. Die kann Katja dann ausmalen. Oder wegradieren, wie es ihr gefällt.
Die Band steht im Stau, also kann ich Marie zeigen, wie man einen Hefewürfel in Milch auflöst. Sie ist fasziniert von der Tatsache, dass ein Teig wächst, wenn man ihn nur ruhen lässt. Im nächsten Jahr wird sie vierzig. Falls sie sich nicht vorher zu Tode erschreckt, wenn sie erfährt, dass Milch aus Kühen herausgepresst wird.
Im Gegensatz zum Teig will ich jetzt aber auf gar keinen Fall Ruhe, also erzähle ich Marie von meinem Streit mit Gunnar. Sie hört ausdauernd zu, selbst, als ich ihr vom damaligen Linoleumkonflikt erzähle und von sämtlichen Scharmützeln, die sich vor dem Ausbruch des ersten Gunnarkrieges von 2001 zugetragen haben. Sie unterbricht mich immer nur mit derselben Gegenfrage: »Aber du liebst ihn?«
Und ich bejahe, immer wieder. Wie bei einem fremdartigen Hochzeitsritual, bei dem der Bräutigam nicht anwesend ist. Schließlich hat die Hohepriesterin genug gehört und gibt mir folgenden Ratschlag für eine lange und glückliche Ehe: »Entweder trennt ihr euch oder ihr arbeitet nicht mehr zusammen hier. Glaub mir, Doki, ich weiß, wovon ich spreche.«
Ja, das tut sie wohl.
»Wie es Raffi wohl geht?«, frage ich, geschäftig mit den Blechen hantierend, um einen Plauderton bemüht, den Marie aufgreift: »Och, ich denke gut. Wetter ist ja prima da.«
Das Wetter in Bad Schlag-mich-tot ist schön, na sieh einer an. Da fällt mir etwas ein, aber Marie ist schneller: »Weißt du was, Doki? Katja ist wieder zu ihrem Andi zurück. Krass, oder?«
Ja krass. Krasser Unfug, aber Marie ist sicher – so gut wie: »Doch, ich war eben oben, und da war nichts mehr von ihrem Zeug. Also, vielleicht will sie sich auch nur mit ihm ausquatschen oder die Möbel aufteilen. Zumindest ist sie in Bonn gesehen worden, von Harald, heute. Ich glaube ja, die kommen wieder zusammen. Das Fräulein Alpert wird es doch schnell leid, wenn ihr nicht
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