Betreutes Trinken
völlig von Sinnen, und hüpft auf Andis Schoß herum. Bis hierhin konnte ich diese Szene irgendwie ertragen. Ich habe mal ein Praktikum in der geschlossenen Abteilung absolviert, da habe ich auch viel Elend gesehen. Da vegetierten ganz andere seelenlose Menschenhüllen vor sich hin, die Unsinn faselten und dazu noch erheblich schlechter rochen als diese beiden hier.
Aber ich spüre, dass Andi ganz kurz davor ist, etwas zu tun, was ich nicht tolerieren kann, etwas Furchtbares, Erniedrigendes, Andi-mäßiges. Und er tut es. Er patscht dem Wesen, das sich auf mysteriöse Weise des Körpers meiner besten Freundin bemächtigt hat, mit der flachen Hand auf den Rücken und gurrt mir sonorer Stimme: »Na siehste, der Papa weiß doch, was gut ist.«
»Seid ihr wahnsinnig geworden?«, schreie ich, und Katja hört auf, den Papi als Hüpfburg zu missbrauchen.
»Was hast denn du jetzt?«, erkundigen sich beide. Sie fragen synchron, im selben Tonfall, ich werde also mindestens zwei Exorzisten anwerben müssen, um meine Freunde wieder aus diesen Zombies herauszubeschwören. Hoffentlich ist es noch nicht zu spät.
»Ey, Leute, das »Luftschloss«! Das steht für alles, was wir immer gehasst haben, das ist die Dekadenz in Lachsfarben, da feiern doch bestimmt auch die rechten Studentenverbindungen, der Laden gehört doch irgendeinem Mafiatypen, das ist doch … pervers.«
Ich finde kein anderes Wort dafür. Andi schenkt mir einen skeptischen Blick, dann seufzt er: »Tja, manche Menschen entwickeln sich eben weiter, Doris.«
Wow. Wow. Ich brauche was zu trinken. Schnaps, eine ganze Flasche, um sie erst leer zu saufen und sie dann Andi auf den Kopf zu hauen. Und Katja ist offenbar auch nicht mehr zu retten. Stumm hockt sie auf dem Schoß des Baldgatten und kneift die Lippen zusammen, als hätte ich mich gerade daneben benommen. Oder so, als müsste sie sich extrem zusammenreißen, um nicht zu lachen. Andi grinst schon von einem Ohr zum anderen.
»Ihr seid krank«, diagnostiziere ich. Beide kichern. »Totale Arschlöcher, fies seid ihr!«
Das junge Glück hat sich zu einer zitternden organischen Skulptur in den Sessel verkeilt, sie lachen sich bestimmt gleich tot. Witzig, wirklich.
»Boah, Doki, du hättest dein Gesicht sehen sollen, großartig«, blökt Andi irgendwann, und Katja gackert. »Das war die Rache. Für Samstag. Das »Luftschloss«, du hast es echt geglaubt, oder?«
»Ach, nein, nicht so wirklich«, winke ich ab, aber tatsächlich fällt mir ein Riesenstein vom Herzen. Meine Freunde haben diese ganze Nummer nur vorgeführt, um mich komplett aus der Fassung zu bringen. Ich bin mir sicher, Idee und Drehbuch stammen von Katja, aber Andis schauspielerische Leistung – Oscar-verdächtig für seine Verhältnisse. Er selbst fand sich auch richtig prima, die hektischen roten Flecken im Gesicht bekommt er immer, wenn er sich einen Ast freut: »Sie hat’s geglaubt, sie hat’s geglaubt. Aber, Doki, weißt du, wir haben wirklich vor, das Ganze etwas größer zu feiern.«
»Etwas, ja? Was schwebt euch vor, zuerst Trauung im Dom, dann eine kleine Parade den Rhein runter?«, rate ich, aber bevor Andi das große Geheimnis ausplaudern kann, kommt ihm Katja zuvor: »Nein, besser. Wir feiern im ›Dead Horst‹!«
Ich klatsche Andis Dame ab, um ihm zu zeigen, wie ein echtes Freudentänzchen aussieht. Man springt einfach solange schreiend auf und ab, bis die Nachbarin mit dem Besenstiel von unten an die Decke klopft. Profis wie Katja und ich brauchen nur zehn Sekunden, um die entsprechende Reaktion auszulösen: »Ist ja gut, Frau Liedtke, kriegen Sie sich wieder ein«, schreit Katja ihren Fußboden an, überlegt, und fügt noch lauter hinzu: »Bald sind Sie uns los, wir heiraten und ziehen aus!«
Frau Liedtke scheint diese Botschaft in stiller Freude zu verdauen, das Klopfen bricht ab, ich plumpse zurück auf die Couch. »Ne, echt, ihr wollt umziehen? Wieder in die große Stadt«, frohlocke ich, aber Andi schüttelt den Kopf: »Nä, eher weiter raus. Wo nicht so viele Nachbarn sind und ein bisschen mehr Platz.«
Er sagt das ganz ernst. Katja lacht auch nicht. Unten bei Frau Liedtke knallt ein Korken gegen die Wand.
»Oh, oh je … Katja, müsst ihr heiraten?«, frage ich, und das hebt die Stimmung im Raum wieder.
Katja reckt ihr kleines, prominentes Kinn in die Höhe, wie sie es immer tut, wenn ich sie zu einem Scarlett-O’Hara-Moment herausgefordert habe: »Ja, so ist es, ich muss heiraten! Denn auch ich gehöre zu jenen
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