Betreutes Trinken
Nebeneffekt werbewirksam nutzen und sich eine goldene Nase damit verdienen. Ich muss von dem Zeug wieder loskommen. Danach werde ich die Substanz für mein Projekt im Auge behalten.
Da ich mich dreiundzwanzig Minuten in der Toilette des ICE verstecke, habe ich die Muße, darüber nachzudenken, wie man so leben kann. Wie Katja, meine ich.
Es wäre mir einfach zu anstrengend, diesen Nostalgie-Style so konsequent durchzuhalten, sowohl am eigenen Körper als auch in der Einrichtung. Gut, es fehlt mir an Grundvoraussetzungen wie aufdrehbare Haarpracht und dem entsprechenden Kleingeld für Originalvorhänge, Tapeten, Dekorschälchen und Kuchengabeln. Und dann noch ihr Andi. Der ist über die Jahre zwar zu einem passenden Accessoire mutiert, indem er entsprechend angezogen auf Oldtimer-Börsen herumschnürt und Katjas Begeisterung für potthässliche Lampen teilt, aber reicht das, um sich für ewig zu binden?
Ich fürchte, dass aus dieser Eheschließung ein ungutes Gleichgewicht entstehen könnte, eine Aufwertung Andis, die ich nicht nur als Katjas beste Freundin kritisch beobachten muss.
Sie wird doch wohl nicht Andis Namen annehmen. Katja Jahn? Furchtbar, ein »Jaja« in der Mitte, das klingt doch schon nach geduldigem Hausfrauendasein. Ich kann mir richtig vorstellen, wie sie in ihrer Sechziger-Jahre-Küche Muffins backt und mit der Zeit den schönen Stilbruch, der sie zu der einzigartigen Katja macht, mit Zuckerglasur verkittet. Eine Katja Jahn ist in der Lage, ihr Rock’n’Roll-Potenzial klammheimlich unter den Teppich zu kehren, wahrscheinlich jeden Freitag.
Andi Alpert hingegen, das klingt nach einer albernen Comicfigur. Perfekt. Ich werde das, in meiner Funktion als Trauzeugin, gleich mal vorschlagen.
Bestimmt sind die Brautleute ganz heiß darauf, sich in Fragen von weiblicher Selbstbestimmtheit und daraus resultierender Nachnamensauswahl von einer Frau beraten zu lassen, die zwar schwarz fährt, aber es tatsächlich geschafft hat, sich zu ihrem signalfarbenen Strickjäckchen noch Ringelsocken anzuziehen. Unterschiedliche Ringelsocken, wie ich gerade feststellen muss.
Vielleicht sollte ich eher sukzessiv auf das Thema hinarbeiten. Mit einer kleinen Anekdote aus dem Arbeitsleben zum Beispiel. Ich muss das, was in meinem Leben als Business-Garderobe zählt, mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit vor der Modepolizei rechtfertigen.
Keinen konkreten Stil zu haben ist auch ziemlich anstrengend.
»Mädchenprobetag? Das ist nicht deren Ernst, oder? So würden wir das ja nicht mal nennen, ich meine, selbst intern nicht.«
Katja schüttelt den Kopf und scheint ein weiteres Mal froh darüber zu sein, dass sie ihr Geld mit ehrlicher Arbeit verdient. Sie schult Messehostessen, bringt also verzweifelten Studentinnen bei, wie man Geldsäcke so anbaggert, dass sie ihnen eine Yacht abkaufen, aber nicht an die Brüste grapschen. Katja ist fantastisch in ihrem Job, ihr Chef nennt sie »die Geishaflüsterin«.
»Da hast du bestimmt wieder irgendetwas falsch verstanden, Doki«, gibt Andi zu bedenken. Zum Glück ist mein Mund voll mit Kekskrümeln, sonst hätte ich bestimmt spontan einen unserer üblichen Kleinkriege vom Zaun gebrochen, Dokistan gegen Andiland.
Im Grunde habe ich nichts gegen ihn, wirklich. Das Problem ist nur, dass wir zwar in fast allen Lebensbereichen völlig unterschiedlicher Ansicht sind, dabei aber aussehen, als wären wir unangenehm nah miteinander verwandt. Viele Menschen hielten uns früher für Geschwister. Katja fand das lustig, Andi und ich nicht. Weder wollten wir einander ähneln noch wie der Prototyp der westfälischen Spargelbauern aussehen, von denen wir nun einmal abstammen. Also arbeiteten wir krampfhaft gegen unser Landei-Image an, gruben Fluchttunnel aus unserer Vergangenheit, schön brav in entgegengesetzte Richtungen. Wir kämpften hart, angetan mit höchst unterschiedlichen Tarnanzügen – und nicht immer mit Erfolg.
Andis bevorzugtes Lieblingskostüm, das er auch jetzt vorführt, ist »der smarte Geschäftsmann«. Seine Anzüge sind teuer, aber immer einen Tick zu angeberisch. Er vergisst, die Preisschilder unter seinen Schuhen zu entfernen, und ich fürchte, er tut das mit Absicht.
Wenn er seine Laptoptasche spazieren trägt, sieht sie immer aus wie ein kleines, albernes Herrenhandtäschchen, nicht nur, weil er riesig ist, sondern weil er gelegentlich noch trainiert.
Andi trainiert. Er macht keinen Sport, er stemmt keine Eisen, er geht nicht ins Fitnessstudio, Andi trainiert,
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