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Betreutes Trinken

Betreutes Trinken

Titel: Betreutes Trinken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
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kann den Boden wischen und sich alte Fotos anschauen, von Gunnar, dann kann man den Tatort so nebenbei verfolgen, dass man sich kurz vor Schluss absolut sicher ist, dass der Kommissar der Mörder ist, und sich dabei schämen, weil man eine alberne kleine Tussi ist, die ihre Sonntagsabenddepression nicht alleine bewältigen kann. Man kann sich vor den Spiegel stellen und seinem Gegenüber erklären: »Ich bin eine unabhängige Frau, die es nicht nötig hat, sich von irgendwelchen Kerlen oder Freundinnen und deren Stimmungen gängeln zu lassen oder vor einem Spiegel zu stehen und sich derartig bescheuerte Ansagen zu machen!«
    Man kann sich darauf freuen, dass am Montag die Arbeit wieder anfängt. Wenn man es schafft, die unweigerlich darauffolgende Heularie zu überstehen, kann man sich stolz auf die Schulter klopfen, weil man nicht aus dem Fenster gesprungen ist, aus Rücksicht auf die Nachbarn. Das baut auf, und man sieht die Dinge wieder realistischer: Katja wird sich schon melden, und Gunnar ebenfalls – oder auch nicht, völlig wurscht.
    »Da wäre also ein vorsichtiger Optimismus durchaus angesagt«, stimmte mir an dieser Stelle des gestrigen Abendprogramms auch Günther Jauch zu, und das Publikum klatschte. Ich ging ins Bett. Nachschlafen geht nämlich immer, eine todsichere Nummer, wenn man nur irgendetwas machen will.

IX
    I ch hatte mein Suchtpotenzial unterschätzt, arrogant behauptet, nicht zur Zielgruppe zu gehören, aber im Laufe einer fünfstündigen Thekenschicht hat es mich ebenfalls erwischt.
    Ich bin abhängig von Holunderblütenbrause, wie alle anderen hier.
    Bei der ersten Flasche dachte ich, ich tue meinem Körper etwas Gutes. Bei der zweiten Flasche war es wissenschaftliches Interesse: »Ist das wirklich der Geschmack von naturbelassenen Biofrüchten aus kontrolliert ökologischem Anbau?«
    War dann bei der dritten Flasche egal, ich brauchte den Zucker. Flasche fünf und sechs waren eine Entschuldigung dafür, alle zehn Minuten zur Toilette zu rennen, was einen mehrfach entgiftenden Effekt erzielte: Der Alkohol ist jetzt aus meinem Körper geschwemmt, und ich musste mir nur halb soviel Müll von Kira anhören, wie in fünf Stunden hineinpasst.
    Kurz vor zwei kamen sogar ein paar Jugendliche. Die Jungen mochten die Idee »Mädchenprobetag«, ernsthaft. Sie haben nicht mal über das Wort gelacht, mir scheint, dass sie zu sehr Kiras Einfluss unterstehen. Zuerst macht sie die naiven Seelen mit Holunderextrakt gefügig, dann übernimmt sie die Weltherrschaft.
    Schon bald wird in diesem Land kein einziger Kickertisch mehr vorhanden sein, dessen Mannschaften nicht aus Transvestiten bestehen. Ich nehme die Behauptung, dass sämtlicher Alkohol meinem Körper entwichen ist, zurück und sage zu Kira: »Ja denn tschüss, ich bin Mittwoch wieder da. Schönen Tag noch Leute.«
    »Tschüüüüss, bis Freitag«, winkt Kira.
    »Tschö, bis denne«, Jochen, wieder versöhnt mit der Welt. Mädchenprobetag, ein Etappensieg, auch für ihn.
    »Ach ja, Doris, mach’s gut, und denk an dein Drogenprojekt. Ich bin gespannt!«, ruft Margret.
    Oh, ich erst. Nur ein ausgefeiltes Drogenkonzept kann schließlich den Mädchentag stoppen.
    Von wegen Feierabend. Ich muss eine tolle Anti-Drogenkampagne ersinnen, konzentriert nicht an Gunnar denken, aber als Erstes möglichst kostengünstig nach Canossa kriechen beziehungsweise nach Bonn fahren.
    Die SMS von Katja kam nämlich doch noch:« Frau Kindermann, Sie können mir die Füße küssen. Um 17 Uhr, bei mir.«
    Also jetzt schnell aufs Fahrrad gesprungen und ab zum Bahnhof.
    Mein Fahrrad ist weg. Weg.
    »Danke, danke für das Zeichen!«, schreie ich gellend gen Himmel, aber eine Antwort bleibt aus. Margret ist also doch nicht Gott, sonst hätte sie in den vierten Stock fliegen können, um mich vom Fenster aus zu tadeln. Sie ist nur eine eingerostete alte Hexe, die Kira den Mädchenprobetag gestattet hat, damit ich einen gewissen Ehrgeiz in mein Projekt hineinlege.
    Soll sie doch lieber wieder mit geladenen Flinten durch die sozialen Brennpunkte patroullieren, denke ich, da fließt am Ende weniger Blut als in Kira drinsteckt.
    Es sind die kontrolliert angebauten Holunderbäume, die mich so was denken lassen, ich bin sicher.
    Ich renne Richtung Bahnhof. Bei jedem Schritt spüre ich, wie sich Schweiß unter meinen Achseln staut. Er riecht süßlich und nach Frucht. Wahrscheinlich werden an den betreffenden Stellen später duftende Zuckerränder entstehen. Irgendjemand wird diesen

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