Betreutes Trinken
Was wird er als Nächstes tun, ein Bällchen werfen, damit Vladimir es auf der Nase jongliert? Es hat ewig gedauert, bis Vladimir ein Wort an mich gerichtet hat, die ersten Jahre hat er nur gebrummt.
Ich springe auf und stiefle schnurstracks zu den beiden Superfreunden herüber.
»Hey, was geht, Süße? Vladi und ich wollen den Herd anders anschließen, da oben ist nämlich ein Starkstromanschluss, und dann kannst du da kochen, super, oder?«
Vladimir zeigt grinsend mit dem Daumen auf Gunnar: »Ich dachte erst, er sei ein Idiot, aber ist ganz brauchbar. Denkt praktisch, der Günni.«
»Nicht Günni , Gunni, wenn schon!«
Kumpelfaust haut auf Bärenpelz. Es hat drei Tage gedauert, bis Gunnar wieder mit mir sprach, nachdem ich ihn einmal »Gunni« genannt hatte.
Die beiden haben keine Abläufe geklärt, sondern Crack geraucht.
»Schatz, du siehst müde aus, willst du nach Hause?«
Gunnar kann mit einer Hand auf Vladimirs Rücken klopfen und mit der anderen meinen streicheln. Er war mal ein ganz passabler Schlagzeuger, aber augenblicklich nervt mich seine Fähigkeit zum Multitasking nur.
»Ja, kommst du?«
Gunnar lässt die Arme sinken. Immerhin beide. »Ach, geh doch schon mal vor, ich bleibe noch ein bisschen. Muss mich ja einarbeiten, oder?«
Samstagabend, elf nach zehn. Kapitän Doki überlässt das Kommando dem unerfahrenen ersten Offizier. Mit seiner zupackenden Art und seinem freundlichen Naturell wird er die Mannschaft für sich gewinnen, der Steuermann grüßt seemännisch: »Ja, Doris, du siehst echt elend aus. Geh schlafen.«
Danke Vladimir, bin schon weg. Gunnar gibt mir einen Kuss, der vielleicht länger gedauert hätte, wenn der kleine Feuerfuchs nicht endlich in die Falle getappt wäre:
»Aua, Mist, mein Fuß!«
»Oh, wo ist denn der Verbandskasten?«, fragt Gunni Hood, Retter der Witwen und Waisen, Vladimir deutet unter die Theke.
Gunni rennt zur Gestürzten. Lässt den Eckzahn für sie aufblitzen. Sie lächelt wie Sharon Tate in Tanz der Vampire.
Das reicht für heute.
Ich gehe zu Fuß nach Hause, kein Taxi heute, meine Sponsorin für solcherlei Extravaganzen hält an der Theke die Stellung. Ein visueller Ohrwurm verfolgt mich, das letzte Bild, dass ich sah, bevor die Kneipentür hinter mir zuknallte. Gunnars Eckzahn.
Zu Hause lege ich mich auf die Couch, schalte den Fernseher an. Samstagabend. Es sollte doch irgendwo ein guter Film laufen. Aber es gibt nur Spielshows, Talkshows, und eine Dokumentation über große Show-Moderatoren. Schließlich finde ich doch einen Horror-Klassiker, den Musikantenstadl . Am gruseligsten sind die Zuschauer. Alte Leute, kleine Kinder, alle klatschen im Takt, obwohl gerade gar keine Musik gespielt wird. Der Moderator ist garantiert kein echter Mensch. Maskenbildner mögen Meister des Verkleidens und Überschminkens sein, aber mich täuschen sie nicht. Der Kerl ist ein Alien, der unsere Sprache wahrscheinlich gelernt hat, indem er sich am vorherigen Samstagabend eine Spielshow angesehen hat. Jetzt redet er darüber, wie großartig der Abend war, was für fantastische Künstler aufgetreten sind und wir uns ganz bestimmt im nächsten Monat wiedersehen. Es klingt drohend. Schlussendlich dankt er den Zuschauern, die die ganze Sendung verfolgt und von Anfang bis zum Schluss zu einem Fest gemacht haben.
Er dankt mir nicht. Keiner dankt mir.
Doch, Raffi schon. Er hat sich per Marie-Express bei uns bedankt. Kurz und knapp, dafür, dass wir ihm sein Leben retten werden. Bitte, da nicht für.
Es muss Raffi wirklich schlecht gehen, sonst würde er nicht schon morgen nach Bad Schlag-mich-tot fahren. Sonst wäre er ins »Horst«gekommen, notfalls im Krankenhausnachthemd, einen Infusionsständer schwingend. Er hätte sich gesträubt gegen unseren Dienstplan, gezetert, dass wir gar nicht wüssten, wie viel Arbeit so ein Laden macht. Und dann hätten wir mit Engelszungen auf ihn eingeredet, ihm unsere ewige Treue geschworen, jeder einzeln, Schnaps wäre geflossen und Tränen. Aber am Ende hätte Raffi eingesehen, dass wir es schaffen.
Ich schäme mich, weil ich eine schwere Geburt wollte statt eines notwendigen Kaiserschnitts.
Schwester Maria Walburgis bedankt sich in Das Wort zum Sonntag für jedes Leben, das auf Erden herrscht, und sei es auch noch so klein und hilfsbedürftig. Jesus liebt auch die, die zweifeln, und sogar jene, die nicht an ihn glauben.
Emotionale Erpressung, überall.
Ich schalte ab.
XXIV
E s tut mir leid. Wegen gestern.« Er klingt extrem
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