Betreutes Trinken
Gelegenheitsperverse? Politische Aktivisten? Enttäuschte Kapitalanleger? Besoffene Stammgäste?
Leute, die Raffi, bei all seiner Begeisterung für jugendlichen Leichtsinn und körperlicher Ausdruckskunst, schon vor der Tür aussortiert hätte?
Gunnar spielt weiter mit meinen Fingern. »Wenigstens hat Toddy gut reagiert. Er hat sich die beiden Idioten geschnappt, ihnen ein Bier ausgegeben und durch den Hinterausgang rausgelassen. Vladimir und ich haben dann Andi aus der Kneipe gezogen, das war’s auch schon. Ende vom Lied.«
Ende vom Lied, tatsächlich. Wir schaffen es nicht ohne den Chef, nicht mal ein Wochenende haben wir durchgehalten. Wir können einpacken. Das ist so traurig, und es wird nicht besser dadurch, dass Gunnar meine Hand durchknetet und mir das Ergebnis der Abstimmung mitteilt, die ich leider verschlafen habe: »Wir können so nicht weitermachen. Vladimir ist da ganz meiner Meinung. Er sagt, wenn Raffi da gewesen wäre …«
»… wäre das alles nicht passiert«, beende ich als gute Paarhälfte seinen Satz. Gunnar lässt meine Hand los: »Nein, doch, anders: Vladimir sagt, wenn Raffi dagewesen wäre, hätte es ein grenzenloses Chaos gegeben. Der hätte eine richtige Schlägerei mit den Assi-Punks angefangen, und der ganze Laden läge jetzt in Schutt und Asche da. Und Andi wäre totgetrampelt worden.«
Ich überlege »Das hat Vladimir gesagt?«
Gunnar stöhnt: »Nicht wortwörtlich, du kennst ihn doch: ›Mit Raphael wäre geworden Chaos, kann sich nicht beherrschen. Wir müssen ändern System.‹ So was in der Art.«
Abgesehen von Gunnars erneutem jämmerlichen Versuch, Vladimirs Stimme nachzuahmen, bin ich mir ziemlich sicher, dass er den Wortlaut ziemlich originalgetreu wiedergegeben hat.
Im Geiste versuche ich, Raffi nachträglich in die Szenerie von gestern Nacht hineinzuschneiden. Es entsteht ein Bild in meinem Kopf: Ein schwarzhaariger Pumuckl brennt ohne Rücksicht auf Verluste Meister Eders Schreinerei nieder.
War klar, dass Vladimir wieder mal recht hatte. Trotzdem.
»Wir müssen ändern System? Klingt nach Kommunismus für Dummies.«
Gunnar haut mir liebevoll auf den Schenkel: »Stimmt. Aber hast du irgendeine andere Idee? Außer dichtzumachen, meine ich?«
Darauf muss ich nicht antworten, weil Gunnars Handy klingelt. Er springt auf, um das Telefon aus der Hosentasche zu angeln. Nach einem kurzen Blick auf das Display ruft er erfreut in das Gerät: »Wenn man vom Teufel spricht! Hallo Vladi, was gibt es?«
Ich bin raus, brave Mädchen bleiben schön auf der Couch sitzen, während die Männer die Revolution planen, dieses Mal aber richtig, nicht so romantisch verklärt wie vorgestern.
»Ja, klar. Muss auch gemacht werden, sicher. Ich sage ihr Bescheid, klar Basisarbeit, du sagst es, Alter, haha.«
Typisch. Da bin ich mal bei einem wahrhaft historischen Moment zugegen und bekomme nur die Hälfte mit, das Damenprogramm. Kein Wunder, dass gerade linksangesiedelte Spitzenpolitiker eine Ehefrau pro Wahlperiode aufbrauchen. Das hält ja kein weibliches Wesen aus: Kerle, die beim Telefonieren mit ihren Genossen Süßholz raspeln. Als Gunnar meinen Blick auffängt, drückt er die Lautsprechertaste. Danke.
»Ja, kommst du am besten mit zum Putzen, mit Doris, erste Mal ist sehr schwer. Du bist doch Gentleman, oder Gunni?«, schallt es uns auffordernd entgegen.
Mein Gatte, der mächtigste Mann meiner Welt, steht vor einer schweren Entscheidung. Die kann ich ihm abnehmen: »Oh, natürlich kommt er mit. Wir putzen zusammen, wir sind ein Team, schon vergessen?«, rufe ich, und Gunnar bestätigt: »Klar. Gib uns eine halbe Stunde, okay?«
»Gut. Bis gleich, Gunni. Bis gleich Doris.«
Vladimir legt auf, Gunnar fällt zurück auf die Couch. Ich boxe ihm aufmunternd in die Rippen: »Hey, Basisarbeit, Alter, haha.«
Gunnar findet den Witz komischer, wenn er ihn erzählt: »Och bitte Doris, ich bin fertig. Ich habe in der Wanne gepennt, und zum Zahnarzt sollte ich auch dringend, ich bin verletzt.«
Bevor ich vor Mitleid zerfließe, schaltet sich jemand Neues in unser Gespräch ein:
»Oh Scheiße. War ich das?«
Der Andi. Steht da, mit zerfetztem Hemd, fleckiger Hose, und sein Mundgeruch wabert von der Tür bis zur Couch herüber, aber er hat immer noch genug Selbstbewusstsein, um zu denken, er hätte den schönsten Eckzahn der Welt rausgehauen.
»So ein Quatsch«, lispelt Gunnar, »das war ein kleines Mädchen. Du hattest dich vorher aus dem Kampf ausgeklinkt.«
Andi wankt zu uns
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