Betreutes Trinken
Hosentaschen durch die Vordertür, Olaf pfeift durch die Zähne: »Das Weib hat es einfach drauf. Wahnsinn!«
»Habe ich was verpasst?«, erkundigt sich der Neuankömmling und zeigt auf die Flipchart.
»Ja«, zischt Toddy, »du kannst ab heute nicht mehr anschreiben.«
Linda reicht ihrem zweiten Kunden sein Getränk und fordert: »Zwei fünfzig, bitte.«
Eines muss man ihr lassen, die Preisliste hat sie verdammt schnell auswendig gelernt.
Mit großer Geste kramt Felix seinen Geldbeutel hervor, reicht Linda einen Fünfer: »Gib’ auf drei raus«, sagt er lässig, Linda zeigt Zähne, nicht so viel wie zuvor, aber immer noch Millionen Lichtjahre von Maries Zauberlächeln entfernt.
Punkt acht Uhr, und unsere Einnahmen belaufen sich auf satte fünf Euro siebzig. Ein guter Anfang. So unauffällig wie möglich schaue ich auf die Schuldenliste an der Wand, aber Vladimir errät meine Gedanken und flüstert: »Keine Sorge. Er hat bezahlt.«
Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Wenn Felix nicht breitbeinig und putzmunter vor mir stehen würde, hätte ich nach dieser Botschaft angenommen, er würde mit einem Betonklotz an den Füßen im Rhein stehen. Da wir alle noch etwas betäubt von Maries Abgang sind, nimmt unser Gast an, er wäre für den Unterhaltungspart zuständig: »Wo ist denn überhaupt die Chefetage, hm? Habe gehört, Raffi ist gestern aus den Latschen gekippt. Man sagt, das Bier war schlecht, haha.«
Es ist nicht nur erstaunlich, wie schnell sich Neuigkeiten verbreiten, sondern auch, welche Essenz davon übrig bleibt. Auf der anderen Seite ist es gut zu hören, was am hintersten Ende von »Stille Post« herauskommt. Wenn nur ein alter Witz über mieses Bier hängenbleibt, umso besser.
»Hast du falsch verstanden. Raffi macht Urlaub. Der musste ja auch mal ausspannen«, erklärt Gunnar, und wir alle nicken wie die Wackeldackel. Eine gute Geschichte hat er sich da ausgedacht für das gemeine Volk, mein Gunnar, aber vielleicht könnten ein paar Details dafür sorgen, dass die ganze Sache glaubhafter wirkt: »Ja, Marie bringt ihn gerade zum Bahnhof. Er will nach Spanien. Für ein paar Wochen werden wir ohne ihn auskommen müssen.«
Ein bisschen zu dick aufgetragen, sogar Felix fällt der zusätzliche Zuckerguss nach einem weiteren Schluck ins Auge: »Ein paar Wochen, ja? Na, der muss es ja haben, die Kneipe läuft ja, ne?«
Na bravo, die kollektive Erleuchtung setzt endlich ein. Unser Weihnachtsengel, er ist uns doch noch erschienen, ohne Himmelschor und Fanfaren, sondern in Gestalt eines leicht minderbemittelten Schwerenöters. Felix steht da, grinsend, symbolisch für alle Gäste, die eine ganz klare Vorstellung von einem Samstagabend haben: Er hat das Recht, zu saufen, dummes Zeug zu labern und auszuspannen. Die Sorgen und Nöte hinter den Kulissen haben ihn nicht zu interessieren, solange er nur seine Drinks bezahlt.
Olaf baut die Flipchart ab. Holger putzt seine Brille. Linda und Katja ziehen ihre T-Shirts zurecht. Toddy legt eine CD ein, Vladimir setzt sich und wirft vielsagende Blicke.
Wir sind die Feriencrew. Die Super-Stellvertreter. Wir ziehen das durch, auf Gedeih und Verderb. Blödsinn, auf Gedeih.
Gunnar zupft an meiner Jacke: »Süße, warum soll ausgerechnet Katja Raffis Katze füttern? Die wohnt doch außerhalb, oder?«
Ich kläre das Missverständnis gerne auf: »Black-Out ist ein Tigerpython. Und Katja mag als Einzige die Ratten lebendig verfüttern.«
Gunnar wird bleich. Da ist er doch nicht wie Katja: »Kann ich noch aussteigen?«, fragt er leise.
»Klar«, erkläre ich ihm, »aber dann musst du einen Ersatzmann finden, der die Köchin beglückt.«
»Emotionale Erpressung.«
»Ja, so lautet das Geschäftsmotto. Seit 1999.«
XXIII
K atja, geh doch noch Hause. Linda kriegt das schon alleine hin.«
»Geh du doch nach Hause. Ich war heute schon da, es war beschissen.«
In diesem Fall haben wir beide recht. Linda macht sich tatsächlich ekelhaft gut als Bardame. Sie greift so zielsicher nach den richtigen Getränken, als hätte sie eine Exklusiv-Ausbildung bei Marie genossen. Sie ist freundlich zu den Gästen und wirklich gut im Kopfrechnen. Alleine ihre Angewohnheit, in jeder freien Sekunde Toddy ein Bussi auf die Wange zu drücken, macht alle Anwesenden fertig. Besonders Toddy. Nach jeder ihrer Liebesbekundungen legt er musikalisch eine härtere Gangart ein, und wir befinden uns schon auf dem fast unerträglichen Level von norwegischem Noise-Core. Nicht nur, dass der Text
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