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Betreutes Trinken

Betreutes Trinken

Titel: Betreutes Trinken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
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erkannt, dass Raphael Notfall ist.«
    »Ja genau«, antworte ich zögerlich. Ich bin versucht, im Internet nachzusehen, ob es nicht doch vielleicht ein Bad Schlagmich-tot gibt. Wo sonst sollten die Koryphäen auf dem Gebiet des Zusammenbruchs praktizieren, wenn nicht in einem Ort mit derartigem Namen? Es existiert ja eine Entzugsklinik in Süchteln und ein Hospiz in Tötensen.
    »Genau«, wiederholt Vladimir, mit ruhiger, enervierender Stimme. Ich wechsle geschickt zu erfreulicheren Themen über: »Ich glaube, ich habe gekündigt.«
    »Oh, fantastisch Doris«, Vladimir lacht, »Wenn du sicher bist, sage mir doch sofort Bescheid, ja? Das war es schon. Bis dann.« Er legt auf. Große Abschiedsszenen waren nie sein Ding.
    Auch wenn ich tatsächlich gekündigt haben sollte oder mir gekündigt wird, ich bleibe Sozialarbeiterin, was ich unschwer daran erkenne, dass meine Freunde durchdrehen. Ruhig bleiben, einen nach dem anderen abarbeiten. Katja steht ganz oben auf meiner Liste.
    Als ob sie wüsste, dass ich sie in einer ernsten Angelegenheit sprechen will, geht sie nicht ans Telefon. Vielleicht schaue ich später bei ihr vorbei. Wahrscheinlich ruft sie mich an, um mich zu fragen, ob ich ihre Klamotten aus Bonn abhole.
    Ich ziehe den Telefonstecker. Und schalte das Handy aus.
    Leiste mir den Luxus der Unerreichbarkeit, um wichtige Dinge zu tun, die ich nicht mehr lange aufschieben darf. Ich setze mich an den Rechner und schreibe.
    Einen Brief an die Versicherung. Betreff: Fahrraddiebstahl. Rahmennummer: Hatte ich mir natürlich vorsorglich notiert. Besitzer des gestohlenen Zweirades: Benno Werning.
    Privat bin ich gar nicht so sozial, nur dämlich. Ich lösche das Anschreiben.
    Widme mich dem Praktikumszeugnis für Kira. Sollte dem Papst eine Kopie senden, es gleicht einem Antrag zur Seligsprechung.
    Danach fühle ich mich besser, gehe duschen, frühstücke, esse zu Mittag, dann zu Abend.
    Kamelismus ist ein Spiel mit dem Feuer.
    Als ich das Handy wieder anschalte, sehe ich, dass ich vier Anrufe in Abwesenheit erhalten habe. Alle von Ludi. Keiner von Gunnar.
    Ludolf Schwenke-Großmann geht auch nicht an sein Telefon. Offenbar haben sich heute alle entschlossen, nicht erreichbar zu sein, und ich habe den Trend als Letzte erkannt.
    Obwohl ich mir geschworen habe, es nicht zu tun, rufe ich Gunnar an.
    Nur um zu hören, ob er die neueste Mode verpasst hat. Er hat.
    »Hey, was gibt’s?«
    Eine Menge, aber nichts, womit ich ihn belasten möchte. Er klingt fürchterlich, so, als säße er bei seiner Mutter auf der Couch und hätte eine große Portion ihres berüchtigten Gemüseauflaufs genossen.
    »Och, nicht viel«, schwindele ich, um Gunnars vegetarisch ausbalancierte Verdauung nicht ins Wanken zu bringen, »und bei dir? Wie geht es Rose-Marie?«
    »Wem?«, fragt er unwirsch.
    »Deiner Mutter. Wie geht’s ihr?«
    Das macht ein halber Tag auf dem platten Land mit dir. Kaum bist du da, kennst du die Vornamen deiner Eltern nicht mehr, weil sich die meisten gegenseitig »Mutti« und »Vadda« nennen. Nur hat Gunnars Vadda sich vor Jahren eine neue Mutti gesucht.
    »Gut. Sehr gut, doch. Hüpft durch den Garten und sammelt Kräuter nehme ich an.«
    Er nimmt an, okay. Ich kann niemals wieder nach Hause fahren. Wenn es Gunnar da schon so runterzieht, werde ich noch am Ortseingangsschild verrecken.
    »Und dein Zahn?«, will ich dennoch wissen.
    »Liegt auf deinem Nachttisch. Da muss ein neuer rein. Morgen.«
    »Du warst noch gar nicht beim Sülzwurst? Hast du wenigstens angerufen, um einen Termin zu machen?«
    Das kommt davon, wenn man nicht wie die eigene Mutter werden will. Man klingt irgendwann wie seine zukünftige Schwiegermutter.
    Gunnar reagiert entsprechend: »Doch, ich habe angerufen, sonst wüsste ich ja gar nicht, dass man den Zahn nicht kleben kann. Denk doch mal nach, Doris.«
    Ich sollte dem Gespräch eine positive Wendung geben, bevor ich es beende.
    »Ich habe mit Vladimir telefoniert. Er klang merkwürdig.«
    »Tut er das nicht immer?«
    Guter Punkt. Neues Thema:
    »Du bist müde, oder?«
    Gunnar gähnt bestätigend. »Ja, du weißt doch ›Nichts macht dich so fertig wie deine Heimatstadt‹.Steht sogar auf der Postkarte, die du mir mal geschenkt hast.«
    Jetzt ergibt alles einen Sinn: »Gunnar, kannst du mir die Karte mitbringen, falls du sie findest?«
    »Wozu?«, fragt der Mann irritiert.
    Damit ich endlich die solide Quellenangabe an der Hand habe, meine Hausarbeit beenden und mein Studium wieder aufnehmen kann

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