Betreutes Trinken
Krankenhaus, nicht nach Hause, ja klar. Bis gleich.«
Jochen klappt sein Handy wieder zu, stolz verkündet er: »Ein Junge! Er wurde tatsächlich im Taxi geboren, aber Corinna und er sind wohlauf. Ich bin dann weg, okay?«
Natürlich okay. Margret beglückwünscht den erfahrenen Vater, geleitet ihn zur Tür und macht noch einen Witz über die Kompromissbereitschaft des Neugeborenen, weil der auf halber Strecke von Jochens Wohnung und der Klinik das Licht der Welt erblickte. Jochen versteht den Witz nicht, läuft aber trotzdem gegen die Tür.
Fernando beobachtet die Szene halb bestürzt, halb belustigt, als würde er in einer Schultheateraufführung von »Väter der Klamotte« beiwohnen. Er sollte mal die gesamte Truppe beim Montags-Meeting sehen.
Kiras Gesichtsausdruck kenne ich sehr genau, aber nicht von ihr. Ihre Augen flehen mich an, sie bettelt um Hilfe, die fahlen, trockenen Lippen deuten an, dass sie jede Sekunde sterben könnte, wenn ich sie nicht erlöse.
Krise als Chance.
»Fernando, Ferdi, nimm dir doch noch was zu trinken, Kira und ich gehen eben eine rauchen, okay?«
Der Theatermann ist einer von den brauchbaren Künstlern. Dem muss man nicht sagen, dass »eine rauchen gehen«, nur eine putzige Umschreibung für: »Wir müssen einige lebenswichtige Entscheidungen treffen, aber wir beeilen uns«, ist.
Und weil Kira nicht raucht, ist ihr das auch klar. Im Hinterhof stehen wir uns gegenüber, ich mit dem Rücken zur Wand, sie in der Bittstellerposition. So werden fruchtbare Verhandlungen geführt, es ist ungeheuer reizvoll, Kira zappeln zu lassen, aber die Zeit ist knapp: »Willst du meinen Job?«, frage ich sie also.
»Was?«
Gut, für ein paar Details reicht die Zeit doch noch, also stelle ich der möglichen Interessentin das Doris-Kindermann-Gesamtpaket vor: »Kira, ich sehe doch, dass du das Projekt gerne machen willst, mit dem Fernando. Und ich fände das auch nur gerecht. Und wirklich gut.«
»Danke, Doki«, sagt Kira höflich, ohne rot zu werden. Ein ernstgemeinstes Lob, angemessener Dank, endlich finde ich eine Möglichkeit, mit meiner Praktikantin zu kommunizieren. Noch nicht zu spät, wie mir jetzt einfällt: »Kira, dein Praktikum ist in zwei Wochen vorbei. Du kriegst ein Superzeugnis von mir. Und wenn wir beide Margret davon überzeugen, dass du die Richtige für das Theaterprojekt bist, dann stellt sie dich fest an. Du kriegst meine Stelle, ich kündige.«
Kira fällt nicht in Ohnmacht oder auch nur mir um den Hals. Sie denkt nach, und schlussfolgert sogar: »Du musst nicht kündigen, Doki, ich sage es Margret schon nicht, mit Ludolf.«
»Darum geht es gar nicht«, muss ich nicht mal lügen, »ich will mich verändern. Beruflich.«
»Oh, klingt spannend.«
Finde ich auch, deswegen reden wir jetzt über ihre Zukunft: »Kira, du wirst das Kind hier schon schaukeln, okay? Oder auch die Kinder, haha, jedenfalls, wenn du das durchziehen willst, sag jetzt ja. Oder nein.«
An meiner Motivationstechnik muss ich noch arbeiten, aber zum Glück ist es nur Kira. »Ja. Ich will.«
Dann erkläre ich dich hiermit zu meiner Nachfolgerin, Kraft meines Amtes. Wir geben uns die Hand drauf.
»Äh, Doki, kann ich dich was Privates fragen?« Warum? Warum jetzt?
»Natürlich«, erwidere ich huldvoll.
»Findest du nicht auch, dass der Fernando ohne den ekligen Schnurrbart echt mehr hermachen würde? Ich meine: noch mehr?« Nach fast einem Jahr kann die Ankersoftware endlich ihr neuestes Betriebssystem vorstellen: Kira Vista! Wird immer noch rot, das Statistiksystem läuft zuverlässig weiter, aber als neues Feature haben wir ihr einen Empfänger für außerordentliche emotionale Schwingungen einsetzen können. Was wie Science Fiction klingt ist wahrscheinlich nur Frühling.
»Unbedingt«, muss ich Kira zustimmen, »aber vielleicht sagst du ihm das nicht direkt am Anfang eurer Zusammenarbeit, oder?«
Kira nickt heftig und stellt mir eine berufliche Frage: »Wie überzeugen wir denn jetzt Margret von der Sache?«
»Lass mich zuerst mit ihr reden, allein. Der Rest ergibt sich.«
Kira vertraut mir immer noch, trotz meiner Aktion vom Freitag. Ich glaube, sie verzeiht mir sogar. Wir gehen wieder hinein in die Kommbüse, und ich lasse Worten Taten folgen.
»Äh, Margret, mir geht’s nicht so gut. Frauensachen. Kann ich nach Hause? Ich rufe dich dann morgen an.«
Margret wirkt erheitert. Sie hat sich noch einen sehr starken Kaffee auf die Holunderbrause genehmigt, mit der Tasse prostet sie mir
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