Betreutes Trinken
und sie somit garantiert zerstören. Andi war ja so neben der Spur, der nimmt mir glatt ab, dass er die Dampfwalze war, die sich in meiner Wohnung ausgetobt hat, da kann ich ihm ganz locker dreihundert Euro für die gesamte Einrichtung in Rechnung stellen.
Als ich den Koffer anhebe, öffnet sich das obere Schloss. Ich lege den Koffer vorsichtig auf den Boden, will ihn wieder verschließen, öffne aber das untere Schloss. Durch den Schlitz kann ich sehen, dass sich in dem Koffer eine Gitarre befindet. Wie heißt es so schön, wenn man Hufgetrappel hört, sollte man Pferde vermuten, keine Zebras. Ob diese Redensart in der afrikanischen Steppe bekannt ist, und falls ja, dann umgekehrt?
Die Gitarre jedenfalls schimmert schön bläulich und riecht alt. Wobei der Geruch vom Koffer stammen könnte. Musikalienexpertin Doris Kindermann prahlt selbst dann gerne mit ihrem Fachwissen, wenn ihr keiner zuhört, und ich bleibe dabei: schön und vielleicht alt.
Um zu genaueren Schätzungen des Instrumentes zu gelangen, müsste ich den Koffer ganz öffnen. Voilà – die Gitarre ist alt. Älter als ich. Und tatsächlich ist sie braun, nicht blau. Der Schimmer kam vom Innenfutter des Koffers. Wie gut, dass ich nachgesehen habe.
Das Telefon klingelt, aber ich gehe nicht dran. Den Festnetzanschluss könnte ich auch mal abschaffen, da ruft mich sowieso niemand an, außer vielleicht Loreen von der Two-be-Two-Media AG . Soll sie doch auf meinen Anrufbeantworter sprechen, ich habe gerade die Jugendarbeit drangegeben.
Aber es ist nicht Loreen.
Es ist Vladimir: »Hallo Doris, ich hoffe, dies ist dein Apparat.«
Er klingt verunsichert, als würde er zum allerersten Mal mit einer so raffinierten Maschine konfrontiert werden. Fast will ich aufspringen und mit ihm reden, aber mir ist mulmig zumute. Wie konnte er wissen, dass ich gerade in seinen Koffer gespinxt habe?
Er weiß es gar nicht: »Du bist wohl bei der Arbeit, aber es wäre gut, wenn wir uns sprechen würden. Vielleicht kann ich zu dir kommen später.«
Ich stürme ans Telefon. »Hallo, Vladimir, ich bin da, also, klar können wir uns treffen, aber warum?«
Er antwortet nicht. Habe ich ihn verschreckt?
»Ach, besprechen wir dann. Soll ich zu dir kommen?«
»Nein. Meine Wohnung ist etwas …«
Vladimir seufzt: »Doris, ich habe deine Wohnung kennengelernt.«
Ja natürlich. Sie haben sich ja bekannt gemacht, die beiden, leider konnte ich sie einander nicht persönlich vorstellen. Aber da war es dunkel, und in der Küche war Vladimir bestimmt nicht.
»Das Schlafzimmer sieht ziemlich gut aus«, erörtere ich laut, ich höre Vladimir schlucken.
»So meinte ich das nicht. Aber Vladimir, können wir uns einfach im ›Dead Horst‹ treffen?«
»Nein. Ich habe heute frei, du stehst auch nicht auf dem Plan. Muss nicht sein, echt nicht.«
Vladimir klingt besonders verzweifelt, wenn er versucht, lässig daherzureden. Der sagt wahrscheinlich auch »Ballerspiel« statt »Ego-Shooter«.
Ich schlage eine Alternative vor.« Soll ich vielleicht einfach zu dir kommen? Was hältst du davon?« Schluss mit lässig. Ist er noch dran?
»Zu mir? Weißt du, wo ich wohne?«, flüstert er furchtsam.
Ich weiß gar nichts über Vladimir, außer, dass es bei ihm auch nicht viel bedenklicher aussehen kann als bei mir. Wenn er nicht gerade Hobby-Serienkiller ist, aber für den Fall wird mich ja eine riesige Kühltruhe im Eingangsbereich warnen, und ich kann rechtzeitig wegrennen. Und die Polizei alarmieren. Wenn es schon fünfhundert Euro dafür gibt, wenn man Graffiti-Sprayer anschwärzt, wird ihnen ein Mehrfachmörder wohl ein hübsches Sümmchen wert sein.
»Ach Doris, mir fällt ein, ich kann dich auch am Telefon fragen, was ich wollte. Nämlich: Hast du genaue Adresse von Raphael. In Bad Schlag-mich-tot?«
So wie Vladimir das Wort betont, auf der zweiten Silbe, klingt es fast wie ein real existierender Kurort. Ich kläre ihn nicht über sein Missverständnis auf, aber da ich rein technisch noch im Dienst bin, rate ich ihm: »Vladimir, ich glaube, wenn es was Wichtiges ist, solltest du dich an Marie wenden. Aber Raffi sollten wir echt in Ruhe lassen, nicht mit irgendwelchem Blödsinn belasten. Wahrscheinlich haben die in dieser Klinik sowieso eine Kontaktsperre zur Außenwelt eingerichtet für die erste Zeit.«
Klingt sehr plausibel, zumindest für meine Ohren.
»Ja, das ist wahrscheinlich richtig«, stimmt mir Vladimir zu, »sind ganz sicher gute Ärzte in Bad Schlag-mich-tot. Haben sofort
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