Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)
die Hörner genommen hat und das Concerto seinem Höhepunkt entgegendröhnt, rauschen die beiden durch die offene Tür ins Freie, wo die Höllenmaschine im flachen Wasser des Springbrunnens vor der Werkstätte schlussendlich und unwiderruflich zum Stehen kommt. Sie ist nämlich kaputt.
Später, als die Aufregung des Tages sich gelegt hat und ich Günther beim Schneiden seiner Zwiebel betrachte, wie ich es jede Woche tue, werde ich ihn fragen, wie um alles in der Welt er hat ahnen können, dass sich Rashids Gefährt verselbstständigen und ausgerechnet in diese Richtung ausbrechen würde. Günther wird sein Messerchen zur Seite legen, mich lange aus seinen kleinen, leicht geschlitzten Augen anschauen, und dann wird er mir ganz sacht die Hand tätscheln, wie man es bei kleinen Kindern tut, die unvermutet eine tiefschürfende Frage gestellt haben, deren Antwort und Bedeutung sie aber beim besten Willen noch nicht ermessen können. Sagen tut er natürlich nichts, denn angeblich kann er ja nicht sprechen.
Rashid erholt sich recht schnell von seinem Anfall, und der Generalsuperintendent überspielt den Unfall mit der eisernen Jovialität des geübten Öffentlichkeitsarbeiters.
Seine Hosenbeine sind nass und er humpelt ein bisschen, als er sich verabschiedet, aber vorher schlägt er noch eine rhetorische Brücke zwischen dem Unfall und der Notwendigkeit unbedingten Gottvertrauens und kommt schließlich bei Jesus am Kreuz heraus, der habe ja auch undsoweiter.
Ich bewundere das, wie diese Kirchenjungs aus dem Stand nach drei Sätzen punktgenau bei Jesus landen; andererseits ist es ja ihr Beruf.
Rashid hat ein Medikament bekommen, damit die Verkrampfungen sich lösen, aber selbst durch seine Benommenheit brodelt Begeisterung. Er ist ganz offensichtlich hochzufrieden mit seinem Auftritt.
Wir ziehen den Rollstuhl aus dem Teich, schnallen Rashid wieder darin fest und schieben ihn über die Rampe in den Bully. Er gurgelt etwas, das entfernt an Sprache erinnert.
»Er freut sich darauf, es Sarah zu erzählen«, übersetzt der Fahrer.
»Sarah?« frage ich elektrisiert.
»Ja«, sagt der Mann. »Sarah. Arbeitet an seiner Schule. Er ist verknallt in sie.«
Rashid grinst und versucht den Kopf zu schütteln.
»Ich weiß, in Cindy Crawford.«
Rashid kräht Zustimmung. Das ist mir doch egal, was der von Cindy Crawford hält, hier geht es um Sarah.
»Sarah?« rufe ich, »Sommersprossen, leicht rötliches Haar mit einem Wirbel rechts oberhalb der Stirn. Wunderschöne Stimme, etwas belegt, aber das kann auch daran liegen, dass wir so lange draußen gesessen haben.«
»Könnte sein.«
»Milchweißer Teint. Mein Gott, sie muss so zarte Haut haben, nicht dass ich sie angefasst hätte, wir kennen uns ja kaum, wir haben uns nur unterhalten. Ich hätte nie gedacht, dass ich so auf Rothaarige stehe. Ich habe es ja nicht einmal bemerkt, als ich neben ihr saß.«
»Das denkt niemand vorher, passiert einfach«, sagt der Mann und zieht das Foto einer Rothaarigen aus seiner Brieftasche. Es ist nicht Sarah.
»Das ist meine Frau«, sagt er. »Bis ich sie getroffen habe, dachte ich …«
»Ja, sehr schön«, unterbreche ich. »Aber was ist mit Sarah?«
Rashid gurgelt etwas Unverständliches, der Fahrer beugt sich zu ihm hinunter, die beiden besprechen sich.
»Er will das T-Shirt haben«, sagt der Fahrer schließlich.
»Welches T-Shirt?«
»Deins.«
»Warum?«
»Du willst etwas über Sarah wissen und Rashid sammelt Shirts von Rockbands. Bad Religion hat er noch nicht.«
»Das ist Erpressung.«
Rashid macht Geräusche. Sie klingen zustimmend.
»Das weiß er.«
Ich schaue hilfesuchend den Fahrer an.
»Ich bin nur der Fahrer hier.«
Rashid lässt ein röchelndes Kichern vernehmen. Für jemanden, dem vorhin ein Diazepam-Einlauf verpasst worden ist, der ein Pferd in die Knie gezungen hätte, wirkt er erstaunlich fit, denke ich und habe damit seinen hervorstechendsten Charakterzug haarscharf herausgearbeitet. Rashid wird nicht müde. Nie.
Ich streife also mein T-Shirt ab und werfe es Rashid mit gespielter Verachtung über den Kopf.
Es quiekt darunter.
Dann stecken wir drei konspirativ die Köpfe zusammen und Rashid erzählt alles, was er von Sarah weiß. Wenn man sich mal an seine guttural gepresste Artikulation gewöhnt hat, versteht man sogar, was er sagt. Er ist ein ganz ausgezeichneter Beobachter und ich versichere, ihn umgehend als Ermittler einzustellen, falls ich je eine Detektei zu gründen in Erwägung
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