Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)
besonders wenn etwas Lustiges im Fernsehen kommt, sonst schnappt er bei jedem Witz wie ein Klappmesser auf, hüpft krächzend in die Luft und landet auf seinem Gesicht, weil er sich ja nicht abstützen kann. Wir sagen schnell Hallo und behaupten, geklopft zu haben.
Die Krankenschwestern haben seine Sachen schon gepackt, und zwar alle, obwohl wir nur für zwei Tage wegfahren. Rashids Hab und Gut steht in Koffern und Mülltüten verpackt in der Mitte des Zimmers, die Schränke stehen offen.
»Ich glaube, die wollen dich loswerden«, sage ich, weil sie ihm sogar alle Seidentücher eingepackt haben, und Rashid freut sich. Er freut sich immer, wenn ich sage, dass sie ihn hier bald rausschmeißen.
Rashid steckt noch seine neongrüne Plastiksonnenbrille ein, ohne die er nirgendwohin kann.
»Auf Wiedersehen, infantile Zerebralparese aus 114«, ruft der Oberarzt, als wir an ihm vorbeirauschen. »Tschüss, Oberarzt«, sagt Rashid, aber das stimmt natürlich nicht, denn ein Oberarzt hat stets Wichtigeres zu tun. Also steigen wir unverabschiedet in unseren Bully, schieben die Bad-Brains-Kassette ein, zu der man auch ohne Spastik schön zucken kann, und fahren auf die Autobahn. Rashid lässt die Zunge im Fahrtwind flattern.
Es ist zwölf Uhr mittags, wir liegen vor unseren Zelten und versuchen zu schlafen, weil Rashid die ganze Nacht Terror gemacht hat. Er hat noch nie auf einer Isomatte geschlafen und wollte alle zehn Minuten umgedreht werden, weil es unbequem war, außerdem hat er ständig gefragt, wann das Konzert endlich anfängt.
Jetzt geht es zwar gleich los, aber wir sind schon von der ersten Nacht total kaputt, bloß Rashid ist noch topfit, wackelt aufgeregt in seinem Rollstuhl herum, kreischt vor Freude und klingt dabei wie King Diamond.
Das sagen zumindest unsere Zeltnachbarn. Sie kommen aus Herne, sind allesamt Schlosser und ganz offensichtlich genauso aufgeregt wie Rashid, jedenfalls kreischen sie auch und haben ebenfalls nicht geschlafen, sondern die ganze Nacht nebenan King Diamond gehört und Bier getrunken.
King Diamond ist meine Lieblingsband, behauptet Rashid, der sonst bloß VIVA guckt, aber er ist da ziemlich flexibel. Hauptsache laut.
Die Jungs aus Herne zeigen ihm Bilder von King Diamond und Rashid verlangt, sofort auch so geschminkt zu werden. Sie bieten an, sein Gesicht mit wasserfestem Edding zu bemalen, damit haben sie auch schon ihren Kumpel verziert, der seit gestern Abend betrunken vor dem Zelt liegt. Rashid findet, dass sie ihm auch gerne »Ficken« auf die Stirn schreiben können, aber ich lehne schnell ab, weil es keinen guten Eindruck machen würde, ihn damit zu Hause abzuliefern.
Rashid ist beleidigt und fängt an, seinen Helm gegen die Kopfstütze zu knallen.
»Geil. Der kann headbangen«, sagt einer der Jungs aus Herne und alle machen ein Viertelstündchen mit, aber gegen einen Spastiker haben sie natürlich keine Chance.
Die Schlosser sind begeistert von seiner Ausdauer, bewundern ausgiebig Rashids Halsmuskel und wollen wissen, wie er den trainiert hat, aber Rashid lacht sich bloß kaputt und bangt weiter, bis die Jungs ihm vor Ehrfurcht ein altes T-Shirt von Kreator schenken. Rashid will dann aber doch lieber sein Hawaiihemd anziehen. »Das ist keine gute Idee«, sagt Sarah und erklärt, dass wir gleich ins Black-Metal-Zelt gehen. Rashid nickt begeistert, will aber trotzdem sein Hawaiihemd anziehen.
Die Schlosser erklären Rashid ebenfalls wortreich, wie diese Black-Metal-Typen so drauf sind, und übertreiben dabei maßlos. Rashids Vorfreude steigt merklich, außerdem ist er jetzt ganz sicher, dass er sein Hawaiihemd anziehen will. Dann malen die Schlosser mit ihrem Edding noch ein Eisernes Kreuz vorne auf seinen Sturzhelm und wir brechen auf.
Auf dem Weg zu den Bühnen hält uns eine Gruppe niederländischer Rocker an. Sie wollen sich mit Rashid fotografieren lassen und ihr Chef fragt höflich, was das kosten würde. Eine schwierige Situation, die Rocker haben Rashid offensichtlich mit einem dieser Äffchen am Strand verwechselt, aber wie klärt man so ein Missverständnis möglichst schonend auf? Mit Rollstuhlfahrern im Schlepptau ist man nämlich weder besonders wehrhaft noch besonders schnell, und das ist so ein bisschen die Achillesferse des Projekts »Therapeutisches Rocken«.
Rashid allerdings will sehr gerne mit Rockern fotografiert werden, kräht zustimmend und ist bald von den tätowierten Fleischgebirgen überwölbt. Sie heben ihn samt Rollstuhl hoch, prosten mit
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