Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)
Sachen noch vollzählig an der Haltestelle. Es sind sogar ein paar neue dazugekommen. Jemand hat einen kaputten Fernseher, ein altes Damenrad und einen wackligen Schrank dazugestellt.
Matthes tritt gegen den Schrank.
»Der ist besser als dein alter«, sagt er und beschert mir gleich darauf einen weiteren Karfunkelstein selbstgeschürfter Philosophie. Es ist ein Schrankgleichnis, das davon handelt, dass irgendein bekiffter Weltgeist jene, die freiwillig dem Anspruch auf weltlichen Besitz entsagten, mit weitaus prächtigeren Gütern belohne.
»Seht die Vögel unter dem Himmel an. Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen und euer himmlischer Vater ernährt sie doch«, antworte ich.
»Was ist das?«
»Mein Konfirmationsspruch.«
»Im Ernst?«
»Nein, ich habe Psalm dreiundzwanzig wie alle anderen. Aber den fand ich immer besser.«
»Eine herrliche Arbeit«, sagt Matthes zärtlich zu dem Möbel und fährt mit dem Finger über den staubigen Kellerschrank. Man müsste ihn abschleifen und wahrscheinlich ist der Holzwurm drin, aber er ist immerhin aus Massivholz und hat sogar einen geschnitzten Fries am Aufsatz. Matthes hat Recht. Er ist viel schöner als mein alter.
»Seit wann bist du eigentlich mein Guru?«, gifte ich zurück, weil ich nicht zugeben will, dass Matthes schon wieder Recht hat, obwohl er viel bescheuerter ist als ich. Das ist doch albern, sowas.
»Manche haben es eben drauf«, sagt er und schnappt sich das Fahrrad und den Koffer mit meinen Klamotten. Ich lade die Kiste mit den Büchern in meinen neuen Schrank und wuchte ihn auf die Sackkarre.
Immerhin haben meine Eltern mir die Sackkarre geliehen, das Auto habe ich nämlich nicht bekommen, weil sie sehr gegen diesen Umzug sind. Dabei habe ich ihnen nicht mal die Hälfte erzählt, weil ich erstens heute morgen noch nicht wusste, dass in unserem neuen Zuhause eine Oma Wittrich wohnt, und weil ich es dann zweitens erst recht nicht erzählt hätte.
Aber es hat meinen Eltern schon vollkommen gereicht, dass ich mit Matthes zusammenziehen will. Für diese Schnapsidee dürfe ich keine Bürgschaft von ihnen erwarten, haben sie gesagt und damit war die Sache für sie erledigt.
Brauch ich nicht, eure Scheißelternbürgschaft, habe ich gebrüllt und bin aus dem Haus gestürmt und so lange um den Block marschiert, bis meine Eltern zur Arbeit gefahren waren.
So wie es aussieht, brauche ich sie wirklich nicht, weil wir gar keine Miete zahlen. Aber das geht weit über den Horizont meiner Eltern hinaus.
Über meinen auch, wenn ich ehrlich bin.
Nur Matthes ist kein bisschen erstaunt.
»Sie freut sich total«, sagt er vergnügt, als wir wieder vor dem Haus stehen
»Ach, übrigens, sie nennt mich Helmut.«
»Wer ist Helmut?«
»Das war ihr Sohn.«
»Scheiße.«
Matthes zuckt mit den Schultern.
»Yeah. Whatever«, sagt er. Das sagt Priscilla auch immer.
5 »Helmut!«, brüllt es von unten.
Oma Wittrich nennt uns beide Helmut, deswegen wissen wir nie genau, wer von uns beiden jetzt gemeint ist. Aber es ist auch egal. Zumindest Oma Wittrich ist es egal. Matthes und mir nicht so ganz.
»Du bist dran«, ruft er aus seinem Zimmer. »Ich war gestern.«
»Das war letzte Woche«, rufe ich zurück.
Ich sitze auf dem schwarzen Kunstledersofa des echten, verblichenen Helmut und schaue mir zum zwölften Mal »Unser Doktor ist der Beste« an. Es ist die einzige Kassette, die wir in Helmuts Wohnung gefunden haben.
Helmut hat sich den Videorekorder vermutlich kurz vor seinem Tod angeschafft, dabei aber auf das falsche System gesetzt, denn bekanntlich hat ja VHS gesiegt. Danach ist er mit dem Alpenverein in die Dolomiten gefahren und hat sich von einer Wespe in den Gaumen stechen lassen, woran er erstickt ist. Helmut hatte ganz offensichtlich eine Pechsträhne in diesem Sommer. Und deswegen haben wir nur diesen einen Film.
Allerdings haben wir auch seine Wohnung. Und seine Möbel. Und sein Geschirr. Es ist braun glasiert und mit großformatigen Blumen in Orange verziert.
Matthes kommt zurück ins Wohnzimmer.
»Ist der nicht geil?«, fragt er, verschränkt die Arme auf seiner Brust und versucht zu gucken wie Jam Master Jay.
»Du trägst den Trainingsanzug eines toten Mannes, das ist krank.«
Wir haben sogar Helmuts Klamotten geerbt und leider haben sie Tante Matthes’ Geschmack getroffen. Er steht nämlich auf Oldschool-Trainingsjacken und Polyesteranzüge.
»Und du trinkst aus seinem Becherchen. Na und?«, sagt Matthes. »Wir leben
Weitere Kostenlose Bücher