Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)
Mongolensturm, den garantiert auch niemand kaufen wird, weil man in der Größe keine Sofagarnitur zum Drunterstellen bekommt. Kein Wunder, dass Musa Kurse geben muss.
Das alles hat er mir im Vorstellungsgespräch erzählt, das eher ein Vorstellungsmonolog war, denn ich habe bloß genickt, Tee getrunken und die Figuren auf der Leinwand gezählt. Bei hundertdreiundzwanzig hatte ich den Job. Fünfzig Mark pro Sitzung.
»Dann wollen wir mal«, wiederholt sich Musa.
»Ja, dann wollen wir mal«, antworte ich und gieße mir noch einen Tee ein, um Zeit zu schinden. »Der ist aber lecker, der Tee. Was ist das für einer?«
»Aufgeregt«, seufzt Musa, meint aber nicht die Teesorte, und eine Frage war es auch nicht.
»Nö«, sage ich trotzdem, »mir ist nur ein bisschen kalt.«
Musa dreht den Hahn des Heizstrahlers auf, der hinter dem Podest steht, klagt über die Gaspreise und schaut mich herausfordernd an.
»Ich muss nur noch mal aufs Klo und vielleicht telefonieren«, antworte ich, aber Musa winkt ab.
»Pass auf, Junge«, sagt er dann, »es ist vollkommen egal, ob du Pickel am Arsch hast oder ob dein Schwanz zu klein ist. Wenn du da oben stehst, bist du für einen Maler nur Proportionen und Perspektive. Kapiert? Der Rest interessiert wirklich keine Sau.«
»Ach so. Ja. Danke«, sage ich, bin aber erst recht beunruhigt. Ich habe nämlich wirklich einen Pickel da, den zu vergessen ich viel Mühe verwendet hatte, und jetzt muss ich wieder dran denken. Außerdem hätte er die Worte »Schwanz« und »zu klein« nicht unbedingt in einem Satz verwenden müssen. Sowas bringt einen doch unweigerlich auf blöde Gedanken.
»Ich bin körperlich ganz normal gebaut, alles super in Ordnung, das habe ich nachgemessen«, schärfe ich mir mein Mantra nochmal ein, das ich heute Morgen eine halbe Stunde nackt vor dem Spiegel geübt habe. Da hat es noch gewirkt, aber da hat Tante Matthes mich auch noch nicht zwanzigfach von den Wänden angegrient.
»Ich bin körperlich ganz normal gebaut, alles super in Ordnung, das habe ich nachgemessen«, rutscht es mir deswegen laut heraus und jetzt grinst nicht nur Tante Matthes.
Der gesamte Kurs steht um uns herum.
»Was ist denn los?«, fragt eine ältere Dame mit Blaustich im weißen Haar.
»Er traut sich nicht«, erklärt ihre Freundin, die genauso aussieht, bloß mit einem Hauch mehr Lila.
»Obwohl er nachgemessen hat«, wirft eine dritte ein.
»Schade«, sagt die erste, »er gefällt mir besser als der Bonobo vom letzten Mal.«
Vereinzelter Protest wird laut. Der unheimliche Grunzer verteidigt Matthes plötzlich leidenschaftlich, der sei wenigstens an die Grenzen gegangen, dahin, wo Kunst erst wirklich zur Kunst werde, erntet aber bloß prustendes Gelächter. Ich versuche, Blickkontakt zu den wenigen anderen männlichen Kursteilnehmern herzustellen, aber die spitzen hochkonzentriert ihre Bleistifte und halten sich lieber raus. Sie sind nur wegen der Kunst hier und freuen sich ansonsten auf den nächsten Kurs, da ist nämlich endlich wieder weiblicher Akt dran.
Unter den weiblichen Teilnehmern indes entspinnt sich ein lebhaftes Gespräch über die körperlichen Eigenheiten der Modelle des Kurses »Männlicher Akt für Fortgeschrittene«. Worte wie »Biertitte« und »Hühnerbrust« fallen und werden mit Augenrollen bedacht. Als zur kritischen Würdigung der primären Geschlechtsmerkmale übergegangen wird, steigen Stimmung und Qualität der Wortbeiträge auf das Niveau einer ausgelassenen Kegelschwesternschaft auf Sauftour an der Ahr.
»Nur Proportionen und Perspektive, wie?«, raunze ich Musa an, aber der zuckt bloß mit den Schultern.
Ich fasse mir ein Herz, steige todesmutig auf das Podest, reiße mir mit großer Geste den Bademantel vom Leib, schleudere ihn hinter mich und rufe laut: »Ha!« Es wird schlagartig still und für einen sehr kurzen Moment darf ich mir tatsächlich einbilden, meine beeindruckende Physis hätte diese Wirkung gezeitigt, bis es plötzlich hinter mir knistert und ich zu schreien beginne. Der Bademantel ist im Heizstrahler gelandet und hat Feuer gefangen. Es wird plötzlich sehr, sehr warm von hinten, mich übermannt der Schmerz und den unheimlichen Grunzer die Inspiration, denn er fängt an, wie bekloppt zu zeichnen, und nur dank dieses selbstlosen künstlerischen Einsatzes ist die nun folgende, hinreißend burleske Szene der Nachwelt erhalten geblieben. Der Grunzer wird die Skizze später zu einem Ölbild verarbeiten, das ich noch später günstig
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