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Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)

Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)

Titel: Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Bartel
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Günther schafft womöglich heute zwei Zwiebeln, aber als die Nudelsoße schon fertig auf dem Herd steht, klingelt es plötzlich. Ich rufe nach Horsti, damit der aufmacht, aber er ist schon zur Pommesbude gegangen, und die anderen sind noch in der Werkstatt.
    Günther lächelt mich an und aus seinen kleinen, wässrig blauen Augen blitzt mir Unternehmungslust entgegen.
    Wenn ich ihn jetzt alleine in der Küche lasse, schüttet er todsicher wieder irgendwas ins Essen, und zur Tür mitnehmen kann ich ihn nicht, weil das zu lange dauern würde, also nehme ich den Topf mit zur Tür.
    »Mach auf!« plärrt die Gegensprechanlage. »Hier ist dat Annika.«
    Kurz danach höre ich es in der Küche rumpeln, sage »Moment mal« zu Annika und gehe nachgucken. Günther räumt in Zeitlupe den Besenschrank aus, um sich darin zu verstecken – er hat neuerdings ein bisschen Angst vor Annika.
    »Mach auf! Ich will nach’em Güntherchen!« brüllt es weiter aus der Gegensprechanlage, und Günther versucht, sich den Putzeimer über den Kopf zu ziehen. Ich lasse ihn im Schrank Platz nehmen, mache die Schranktür zu, damit er wenigstens den Kopf aus dem Eimer nehmen kann, dann stelle ich den Topf zurück auf den Herd und versuche Annika abzuwimmeln.
    Annika ist eine resolute Lady mit Down-Syndrom und hat Günther für zwei Wochen in Besitz genommen, weil Mario seit gestern zur Kur ist. Mario ist ihr richtiger Freund und Günther ist seine Urlaubsvertretung, so hat es Annika bestimmt, denn eine Frau braucht die Liebe, sagt sie, und Annika knutscht wirklich für ihr Leben gern mit Jungs rum. Ihre Lieblingsopfer sind frischgebackene Zivildienstleistende, die sie ebenso hemmungslos wie begeistert abschleckt, weil sie noch zu höflich sind, um sich richtig zu wehren, aber leider stehen die nur alle fünfzehn Monate für ein paar Stunden auf der Speisekarte.
    In der Zwischenzeit vergnügt sich Annika jedoch allerbestens mit Mario, den sie herzinniglich liebt, wiewohl sie für physische Treue nicht zur Verfügung stehen mag, denn »eine Frau braucht die Liebe«, und während sie das sagt, kniept das Hutzelweiblein einen dermaßen kokett von unten an und lässt ihre Hände seufzend über den tönnchenförmigen Leib fahren, dass man diese würdige, wenn auch hochkant kaum mehr als drei Käse messende Kurtisane um ihr zusätzliches Hedonismus-Chromosom nur ehrlich beneiden kann, auch wenn es im Alltagsgeschäft bisweilen etwas anstrengend ist mit ihr.
    Die drei sind außerdem in derselben Arbeitsgruppe, beziehungsweise ist Annika die Arbeitsgruppe, während Günther und Mario sich sofort pennen legen, wenn keiner kontrollieren kommt. Man kann viel von den beiden lernen für das spätere Verhalten in der Arbeitswelt, aber dafür ist der Zivildienst ja auch da, das steht zumindest so im Leitfaden vom Bundesamt.
    »Günther ist leider nicht da«, lüge ich, aber Annika sagt, was sie immer sagt: »Dooch. Und dat weißt du auch.«
    Sie kündigt einen Sitzstreik auf unserer Fußmatte an, und das ist selbstverständlich keine leere Drohung.
    »Vielleicht hat Günther ja bloß keine Zeit«, versuche ich vorsichtig, aber das Argument zieht nicht.
    »Dooch, weil, das ist ja mein Freund«, sagt sie.
    »Vielleicht braucht er einfach ein bisschen Ruhe«, sage ich, aber Annika schnaubt unwillig.
    »Eine Frau braucht die Liebe«, sagt sie, und damit ist alles gesagt. Die Verhandlungen sind gescheitert, die Belagerung beginnt.
    Ich lasse Annika weiter sturmklingeln und gehe wieder in die Küche. Günther hat erstaunlicherweise seine Angst überwunden und ist aus dem Besenschrank gekrabbelt, den Putzeimer hat er aber sicherheitshalber auf dem Kopf gelassen. Er steht am Herd und rührt in unserer Nudelsoße, die allerdings eine völlig andere Farbe angenommen hat. Wie es aussieht, hat Günther kräftig mit Blumenerde nachgewürzt.
    Ich nehme ihm den Eimer ab und wir schauen uns lange an. Ein inniges Flehen liegt in seinen kleinen, schielenden Augen.
    »Houston«, sage ich schließlich, »wir haben ein Problem.«
    Günther teilt meine Einschätzung, mit Raumfahrt kennt er sich schließlich aus, mit der Liebe eher nicht.
    »Annika ante portas«, sage ich und mache ihn kurz mit der Gefechtslage vertraut.
    Dann bohre ich Günther Sehschlitze in seinen Eimer, damit er unerkannt auf den Balkon treten kann, um sich selbst ein Bild von der gegnerischen Streitmacht zu machen. Annika hat ihre Drohung wahrgemacht, sie sitzt auf unserer Fußmatte und isst einen Schokoriegel.

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