Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)
ihre erste Bewährungsprobe bestanden.
Auch die WG ist vollzählig angetreten, wenn man von Günther mal absieht. Der schaut sich Horstis Bilder lieber zu Hause an und allerhöchstens eins pro Woche, dies aber dann bis zu drei Stunden lang.
Milvas Eltern sind selbstverständlich mit von der Partie. Ihr Vater hat vor dem Atelier einen Grill aufgebaut, verteilt Selbstgewurstetes und doziert über ökologischen Landbau. Gisela hat Musa in Beschlag genommen und versucht ihn zu einer gemeinsamen Ausstellung zu überreden.
Horsti sitzt auf seinem Thron und winkt huldvoll in die Menge, während Milva hinter unserem Getränkestand steht und Leute maßregelt. Wer drängelt, kann sich ganz schnell wieder hinten anstellen, sagt sie. Kunden, die ein zweites oder gar drittes Bier zu erwerben trachten, werden misstrauisch beäugt und auf Anzeichen von Trunkenheit untersucht. Nicht jeder besteht diesen Test, dessen Kriterien zudem höchst verschwommen bleiben.
Unsere Chefin kommt auf mich zu und fragt, ob sie irgend etwas zur Eröffnung sagen müsse. Muss sie nicht, sage ich. Sie ist erleichtert und versucht, noch einen Sekt zu ordern, aber Milva befindet, dass sie genug getrunken habe, sodass unsere Chefin ihren Mann schicken muss. Der fällt aus irgendwelchen Gründen nämlich nicht in Milvas Zuständigkeitsbereich.
Sogar meine Eltern sind gekommen.
»Du hättest uns auch ruhig persönlich einladen können«, sagt meine Mutter, dabei wollte ich gar nicht, dass sie kommen. Aber jetzt, wo sie schon einmal hier sind, freue ich mich.
»Wir haben aus der Tagespresse von eurer Ausstellung erfahren«, erklärt meine Mutter offiziös, aber traurig.
»Ich hatte so viel um die Ohren«, entschuldige ich mich, und das stimmt ausnahmsweise sogar.
Sarah lässt sich derweil von Musas Aktzeichengruppe über meine Karriere als Modell und deren Fortschritte bei der Darstellung unterrichten. Zeichnungen werden herumgereicht und kommentiert. Meine Mutter schließt sich den Diskutierenden an, schert aber bald mit hochrotem Kopf wieder aus.
»Ich hatte ja keine Ahnung …«, sagt sie.
Ich zucke mit den Schultern. Matthes grinst.
»… dass ich so einen schönen Sohn habe.«
»Ja, danke. Das ist lieb.« Mutter und ich schauen unbeholfen, Matthes und Sarah befeixen mich einträchtigst, Muttern und ich wechseln flink das Thema.
»Das hast du alles mir zu verdanken«, behauptet Tante Matthes später und verlangt eine prompte Würdigung seiner Person. Soll er haben und deswegen tätschele ich liebevoll sein Haupt.
Schließlich klopfen wir gemeinsam an ein Glas, was aber nicht gehört wird, und so dreschen Matthes und ich zusammen auf die Snaredrum ein und brüllen unser »Willkommen« in die erschreckte Stille.
Wir begrüßen unseren Künstler, unsere Gäste, danken brav dem Kulturamt und geben das Wort an Musa weiter. Der nämlich hatte eine Rede angekündigt, darauf hat er bestanden.
»Meine Damen und Herren«, beginnt er, »Horst Seelbrecht ist zweifelsohne ein Idiot.«
Empörtes Raunen geht durch das Publikum, meine Chefin und meine Mutter schauen mich vorwurfsvoll an, nur der so Benannte lächelt und winkt unbeirrt weiter, wie um das Gesagte zu belegen.
»Jeder Künstler ist ein Idiot, man kann kein Künstler sein, ohne ein Idiot zu sein. Das ist der Preis, den man dafür zu zahlen hat. Den Griechen haben wir die Unterscheidung zwischen polites , den Personen der Öffentlichkeit und des Staates, und den idiotes , den Privatpersonen, zu verdanken. Der Künstler ist ein zutiefst privater Mensch.«
Musa lässt ungern Gelegenheiten verstreichen, mit klassischer Bildung herumzuwerfen, außerdem hantiert er gerne mit großen Begriffen. Er versteigt sich zu einer Deutung von praxis und poiesis , mit der Aristoteles vermutlich kreuzunglücklich gewesen wäre.
»Horst Seelbrecht, als Idiot reinsten Wassers«, beendet Musa seine Rede, »hat gar keine andere Möglichkeit, als poetisch zu handeln. Und darum beneide ich ihn.«
Und dann erhebt er sein Glas auf das Wohl des Künstlers und Horsti muss vor Rührung heulen.
»Ich bin tief beeindruckt«, höre ich eine bekannte Stimme hinter mir.
Sie sieht gut aus. Die Haare trägt sie jetzt kurz und dunkel gefärbt, ihr Gesicht wirkt dadurch herber als früher. Und obwohl ich sie fast mein halbes Leben kenne, steht eine mir vollkommen fremde, erwachsene Frau vor mir. Ich habe sie seit einem Jahr nicht mehr gesehen.
»Rieke.«
Wir stehen zögernd umeinander herum. Schließlich umarmen wir uns
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