Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)
Elektroherd.«
»Ich weiß, dass das ein Elektroherd ist.«
»Damit können Sie sich nicht umbringen. Jedenfalls nicht so.«
»Nein?«
»Ziemlich sicher. Sie können natürlich danebensitzen und sich zu Tode saufen, aber dazu brauchen Sie den Herd ja nicht anzumachen. Machen Sie doch lieber das Fenster dabei auf, ist doch schönes Wetter heute.«
»Ich saufe nicht.«
»Doch. Tun Sie.«
»Ich trinke lediglich aus geselligen Gründen.«
»Ja. Das sehe ich.«
»Lenk nicht ab, Grünschnabel. Zurück zum Herd. Minchen Brinkhelm ist auch so aus dem Leben geschieden, das war im März siebenundsiebzig. Sie hat sogar das Haus zum Explodieren gebracht und das hätte ihr niemand zugetraut, sie war doch so eine Ruhige.«
»Vermutlich hatte sie einen Gasherd.«
»Gasherd, Gasherd«, raunzt Oma Wittrich unwillig, »Helmut hat gesagt, dieser Herd kann alles, was der alte auch gekonnt hat.«
»Ich mache mal den Herd aus. Das hier bringt eh nichts.«
»Ich sitze also seit gestern Abend vollkommen sinnlos vor diesem Herd herum?«
Ich nicke. Oma Wittrich schmeißt eine Flasche gegen die Wand, sie hinterlässt dort einen eitrig gelben Fleck.
»Wollten Sie sich wirklich umbringen?«
Sie nickt.
»Ich glaube, Sie wollten vorher gefunden werden. Ich kenne mich da aus.« Und ich glaube, für einen ernst gemeinten Versuch ist das hier alles zu melodramatisch, aber das sage ich natürlich nicht, stattdessen sage ich: »Außerdem sind Sie nicht so senil, wie Sie immer tun.«
»Man ist immer so senil, wie man sich fühlt, Helmut.«
»Ich bin nicht Helmut.«
»Er hatte gestern Geburtstag und ich habe es vergessen«, sagt Oma Wittrich. »Das habe ich noch nie vergessen. Noch nie.«
Ich setze mich und dann reden wir.
Nicht eigentlich miteinander, sondern eher nebeneinanderher, weil wir Lichtjahre voneinander entfernt auf unseren jeweils eigenen Trauerplaneten sitzen. Und dennoch funken wir unbeirrt Signale in die Finsternis, ein leises Knacken ins weiße Rauschen, auch wenn wir beide auf keine Antwort mehr hoffen können: Helmut ist tot und Sarah will mich nie wiedersehen.
Ich fände es einfacher, wenn Sarah auch tot wäre, dann könnte ich trauern und müsste mir nicht andauernd Vorwürfe machen, die vollkommen berechtigt sind. Aber das hätte ich lieber nicht denken sollen, jetzt muss ich mir auch noch vorwerfen, Sarah den Tod gewünscht zu haben.
»Er verschwindet«, sagt Oma Wittrich. »Ich kann mich nicht mehr entsinnen, mit wieviel Monaten Helmut Krabbeln gelernt und ob er lieber Rührei oder Spiegelei gehabt hat.«
Oma Wittrich schaut mich an. Ich zucke mit den Schultern.
»Das ist ja auch lange her«, versuche ich zaghaft, aber Oma Wittrich will nichts hören.
»Ich weiß auch nicht mehr, wie er gerochen hat. Das ist einfach weg. Deswegen habt ihr auch die Wohnung bekommen. Sie riecht einfach nicht mehr nach ihm.«
Sie weint. »Er entgleitet mir und ich kann nichts dagegen tun.«
»Die Indianer haben sich Schwitzhütten gebaut«, sage ich nach einer Weile, weil ich beim besten Willen nichts Klügeres zu antworten weiß. »Und da haben sie sich reingesetzt, um mit ihren toten Vorfahren und Verwandten zu sprechen. Außerdem haben sie die Geister oder so um Rat gefragt.«
»Und das hat geklappt?«
»Bin ich Indianer?«
Oma Wittrich schüttelt den Kopf. »Schade«, sagt sie.
Immerhin habe ich im Wendland mal ein paar Hippies kennengelernt, die mich zu einer Schwitzhütte überredet haben, weil ich mich geistig öffnen sollte. Das sei gut für mich, haben sie gesagt. Außerdem haben sie behauptet, ich sei total gehemmt, und das konnte ich schlecht auf mir sitzenlassen. Natürlich war es furchtbar. Die Hippies hatten nämlich Recht: Ich bin total gehemmt.
Außerdem vertrage ich Gruppendruck und Hitze nicht besonders gut.
Es war sehr heiß in der laubernen Hütte. Alle waren nackt und berichteten reihum von ihren spirituellen Erlebnissen, die sie aus irgendwelchen Büchern auswendig gelernt hatten, während die anderen wissend nickten. Dazu haben sie einen Stock herumgereicht, damit auch jeder was zum Thema sagt. Es war wie Konfirmandenunterricht in einer Sauna. Aber beim Konfirmandenunterricht durfte man wenigstens seine Sachen anbehalten, während man irgendwelche Jesuserlebnisse improvisieren musste.
Ich bin nervös geworden, weil der Stock immer näher gekommen ist, ich aber ums Verrecken nichts Spirituelles feststellen konnte, über das ich hätte berichten können. Stattdessen habe ich Angst bekommen, dass
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