Betrügen lernen
noch die nikotingeruchhemmenden Kaugummis eine Rolle spielen werden, vielleicht schädigen die bei übermäßigem Gebrauch die Nerven. Sie dachte, es habe mit ihr zu tun, und irgendetwas stimme nicht.
Wir schweigen. Dann nestelt sie in ihrer Handtasche. Sie will sich schon wieder eine Zigarette anzünden. Ich bin gerade dabei, ihr die Zigarette wieder wegzunehmen, um sie vorher auf den Mund zu küssen. Als mittlerweile doch recht erfahrener Zigarette-aus-dem-Mund-Nehmer überlege ich, ob es keine gesundheitsverträglichere Variante gibt, einander näherzukommen. Meine Sehnsucht wird größer, und sie scheint nicht abgeneigt zu sein.
Zufällig senkt sich mein Blick. Und ich werde so daran erinnert, dass ich in Wirklichkeit keinen dieser coolen Streifenpyjamas trage wie die Männer in den Filmen aus den Fünfzigern, die ihre Väter zur Rede stellen und Whiskeyflaschen werfen, sondern einen mit rot-grauen Rauten gemusterten Frotteeschlafanzug. Dass Jasmin es trotzdem so lange neben mir auf den Stufen ausgehalten hat, muss man ihr angesichts dieser Modesünde hoch anrechnen.
Wie oft haben mir schon miese Schlafanzüge einen Strich durch die Rechnung gemacht, es ist furchtbar! Damals, während des Schüleraustausches mit Frankreich in der 11. Klasse beim Löffelchenmachen in Avignon. Sie hieß Beatrice, doch mein brauner Schlafanzug wurde zum Liebestöter. Ich wollte sie streicheln, als wir kuschelnd auf dem Gästebett lagen, das für mich im Keller aufgebaut worden war.
Sie drehte sich ein bisschen verwundert um und lachte, als sie den braunen Strampelanzug sah, den ich anhatte und der an Armen und Beinen mit straffen Gummizügen versehen war, sodass er sich aufblähte. Die Stimmung wurde endgültig verdorben, als sie zwischendurch austreten musste und dabei in das Katzenklo trat, das ihr Vater in einer Kiste vor der Kellertoilette installiert hatte.
Und jetzt im fernen Atlanta entpuppt sich das Problem mit den falschen Textilien zur falschen Zeit als ein ebenso zeitloses wie interkontinentales. Ich schaue also nach unten und erschrecke. Ich sehe diese zwar kleine, aber dennoch intensive dunkle Verfärbung. Diesen Tropfen auf dem Frotteestoff direkt zwischen meinen Beinen. Mitten im Schritt. Ach, Sehnsucht, ach.
Wahrscheinlich hat sie es noch nicht gesehen. Aber ich! Wie peinlich. Ich ziehe die Schlafanzughose etwas nach unten, um mehr Stoff zu haben, den ich zwischen meinen Beinen zusammenknüllen kann. Vielleicht kann ich auf diese Weise den Fleck verschwinden lassen. Sie weiß zwar noch nicht, was ich weiß und weswegen ich da unten rummache, aber sie ist irritiert.
In einem Moment, in dem sie in die Ferne zu starren scheint und wahrscheinlich einem weiteren Geliebten nachtrauert, den sie durch ihre Nikotinsucht oder unklare neurologische Symptome verloren hat, raffe ich meine Frotteehose zusammen, stehe auf und will schnell in mein Zimmer gehen. Wahrscheinlich hat sie doch mehr von ihrem Zigarette-aus-dem-Mund-Nehmer erwartet.
»Warte mal, du hast da was«, sagt sie und will mich an der Hose ziehen.
Ich kann gerade noch ins Haus entwischen. Wahrscheinlich werde ich jetzt aufgenommen in die Reihe all dieser seltsamen Männer, die vor ihr schon Reißaus genommen haben. Ich frage mich natürlich, ob ich als derjenige in ihren Geschichtenschatz eingehen werde, der wegen seines rot-grau gemusterten Frotteeschlafanzugs von Anfang an keine Chance hatte, oder ob sie eher ausplaudern wird, dass ich im entscheidenden romantischen Moment nicht ganz dicht war.
Ernüchterung
Raffael ist ein geschmackloser Schaumschläger ohne jeden Stil, das ist Clara jetzt endgültig klar. Er macht sich nicht einmal die Mühe, jede Frau auf eine andere Weise zu betören und zu verführen. Im Gegenteil, die Damen, mit denen er Bekanntschaften macht, sind für ihn genau so austauschbare Dutzendware wie die Armreife, Pflege serien und Parfums, die er offenbar in der Maxipackung mit Rabatt bestellt. Wie billig, dieser Kerl.
Nachdem Clara wütend, aber auch ein bisschen eupho risch ob ihres gelungenen Überraschungsangriffs das Dolce Vita verlassen hat, hat Raffael seine rothaarige Begleitung einfach sitzen lassen und ist ihr nachgelaufen. Clara bemerkt zunächst nicht, dass sie von ihm verfolgt wird, erst am Rande eines kleinen Parks holt Raffael sie ein.
»Was soll das, was machst du hier für eine dumme Szene? Ich habe dir nie etwas vorgemacht, ich habe dich auch nie angelogen. Das ist ungerecht.«
»Ungerecht? Das wagst du mir ins
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