Betrügen lernen
einen Armreif in den Händen. Clara kommt im richtigen Moment.
»Der ist ja wunderschön«, hört Clara Raffaels großbusige Begleiterin mit geradezu obszön wollüstiger Stimme sagen. Sie rekelt sich ungezogen auf ihrem Stuhl herum. »Und das Essen ist echt lecker.«
Clara ist schon lange dafür, die Todesstrafe für Menschen wieder einzuführen, die »echt lecker« sagen.
Er: »Patagonien ist unglaublich intensiv und hat einen besonderen Zauber.«
Sie: »Ich finde es total spannend, was du da erzählst, und könnte dir ewig zuhören.«
Die ist so unfassbar schlicht, Clara möchte ihr am liebsten das Mango-Chutney ins Gesicht werfen, das auf dem Tisch neben ihr steht. Aber wahrscheinlich würde diese einfältige Gestalt das gar nicht merken und die Flecken als traditionelle Bemalung indischer Frauen missverstehen.
Er: »Kennst du eigentlich die alte Kirche von Maguelone? Am Strand, da gibt es diese alte Ruine einer Kirche, total einsam, verwunschen, romantisch, da könnte …«
Clara ist jetzt am Tisch angekommen. »Da könnte sie sich vorher schon die passende Kondom-Geschmacksrichtung aussuchen und auf jeden Fall eine Bodylotion mit Mückenschutz. Von deinem Geschleime wird nämlich mächtig viel Ungeziefer angezogen.«
»Wie schön, dass du vorbeikommst, Clara. Schade, dass hier bei uns kein Stuhl mehr frei ist.«
Clara reißt Raffaels verdutzter Gespielin den Armreif aus der Hand und liest die Gravur laut vor: »Für meine wilde Raubkatze« – ah, immerhin hast du hier ein bisschen variiert, Chapeau. Für deine Groupies legst du dich wirklich ins Zeug.«
»Ts, ts, ts, diese groben Worte passen gar nicht zu dir«, sagt Raffael in seinem überlegen sanftmütigen Seminarton. Aber Clara geht gar nicht auf ihn ein, sie hat schon ausgeholt und Raffael kräftig auf den Fuß getreten. Jetzt nimmt sie den Teller mit dem echt lecker aussehenden Wolfsbarsch und lässt ihn auf den Tisch knallen – genau an jene Stelle, an der Raffael gerade eben noch mit seiner Hand jene des Henna-Mädchens betatscht hatte.
»Aua – das tat weh.«
Clara macht auf dem Absatz kehrt und stürmt Richtung Ausgang.
Toni kommt entsetzt an den Tisch und räumt die Scherben beiseite. Die Musik hat er längst gewechselt. Es läuft jetzt »I feel it in my fingers, I feel it in my toes«.
Nächtliche Sehnsucht
Das Schönste an der Liebe sind die nicht erfüllten Sehnsüchte. Tucholsky hat mal geschrieben: »Immer noch besser, von ihr nichts zu bekommen, als mit einer anderen zu schlafen.« So kann man es sich natürlich auch zurechtbiegen. Meine Lebensgeschichte ist – und da macht die Ehe mit Clara keine Ausnahme – jedenfalls eine Geschichte der Verluste und missglückten Eroberungen, und manche davon taten ganz schön weh, auch wenn sie in der Erinnerung zu Stilübungen des Verzichts aufgeblasen werden. Ein Mann kann nur eine begrenzte Zahl an Niederlagen ertragen.
Die Nacht ist schwül. Wir sitzen vor dem Haus auf den Treppenstufen. Zu diesem Kongress in Atlanta hat unsere Assistentin für unsere Arbeitsgruppe ein Haus angemietet. Alle unter einem Dach, das spart Reisekosten. Wir kennen uns, zum Tagungsort haben wir es nicht weit, und ein bisschen romantisch ist das Haus auch.
Die Treppenstufen speichern noch die Restwärme des Tages. Es ist ein bisschen wie auf einer Südstaatenveranda. Das passt, schließlich sind wir ja in den Südstaaten. Ich fühle mich wie in der Kulisse für einen Film aus den Fünfzigern, in dem jeden Moment zornige junge Männer wild an Türen rütteln werden, um mit ihren Vätern zu brechen und mit Whiskeyflaschen um sich zu werfen.
Es ist schon spät, weit nach Mitternacht. Ich habe meinen unglaublich lässigen, gestreiften Pyjama an und setze mich neben Jasmin, eine Kollegin aus dem Institut. Sie hat lange, glatte, dunkle Haare und unglaublich gleichmäßige feinporige Haut. Sie sieht ein bisschen asiatisch aus mit ihren schmalen Augen, dem hohen Jochbein und der kleinen Nase. Aber ihre Eltern kommen beide in sieb ter Generation aus Bad Salzuflen. Mit dem Pyjama hätte ich in jedem Südstaatenfilm mitspielen können, so lässig ist der. Jasmin raucht. Sie ist schön und ziemlich neu in unserem Institut. Gerade ist sie aber vor allem traurig. Ich sage erst mal nichts. Es ist schön, miteinander schweigen zu können.
Plötzlich fängt sie an zu reden. »Diese blöde Raucherei«, sagt sie. »Ich muss es endlich sein lassen.«
Frauen, die sich selbst finden wollen und gute Vorsätze haben, soll man
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