Betrügen lernen
Gesicht zu sagen? Du sprichst von Gerechtigkeit, ausgerechnet du? Gespielt hast du mit mir – und zwar von Anfang an. Ekelst du dich eigentlich nicht vor dir selbst? Kannst du noch in den Spiegel schauen?«
»Ich habe nur das gelebt und gemacht, was du dir im Hörsaal geduldig und offenbar mit einer gewissen Zustimmung angehört hast«, sagt Raffael. »Nicht mehr und nicht weniger. Ich habe davon gesprochen, dass wir alle zur Untreue neigen und uns alle gerne mit anderen Menschen vergnügen würden, es uns nur meist nicht trauen oder nicht erlauben.«
»Du hast mich willenlos gemacht, und das hast du vorher genau geplant.«
»Und jetzt? Willst du juristisch gegen mich vorgehen?«
»Das wäre wahrscheinlich ein Segen für die Menschheit, damit andere Frauen vor dir gewarnt werden.«
»Du kannst ja den einstweiligen Verführer erwürgen.«
»Sehr witzig. Wahrscheinlich hast du mir sogar etwas ins Essen oder in den Wein gemischt – sonst wäre ich nie auf deine billige Tour hereingefallen.«
»Gift? So etwas habe ich gar nicht nötig. Ich verfüge höchstens über die Elixiere der Liebe.«
»Das glaubst du offenbar tatsächlich! Von Liebe hast du doch keinen Schimmer. Du verwechselst das mit Triebabfuhr.«
»Ja, es ist schmerzhaft, sich eingestehen zu müssen, dass man jahrelang vor sich selbst davongelaufen ist. Und das ist ein Erkenntnisprozess, der dauern kann. Dabei solltest du mir dankbar sein für die Einsichten, die du durch mich gewonnen hast: Du hast schließlich durch mich erkannt, was du wirklich willst und begehrst. Durch mich hast du erfahren, wie sehr du bisher an deinen Bedürfnissen vorbeigelebt hast. Das tut eben manchmal weh!«
»Was bildest du dir ein, du aufgeblasener, zwanghafter, geiziger Spießer. Ich brauche doch nicht eine so erbärmliche Figur wie dich, um zu mir zu finden.«
»Offenbar doch«, sagt Raffael, und jetzt bekommt er wieder diesen süßlich-sanften Ton, für den man ihn erst öffentlich auspeitschen, seine Wunden mit Salz bestreuen und ihn dann vierteilen lassen müsste. »Wenn du dich so aufregst, könnte ich mich glatt noch mal in dich verlieben.«
»Du warst nie in mich verliebt und wirst es auch niemals sein. Liebe – du weißt doch gar nicht, was das ist.«
»O doch, ich lebe von der Liebe. Ganz gut sogar.«
»Du lebst von der Lüge. Ein Betrüger bist du und ein besonders hinterlistiger noch dazu. Du lügst dir doch permanent was in die Tasche – und andere lügst du auch feige an. In Wirklichkeit hast du chronische Bindungsangst und spielst den ewig jungen Verführer und Draufgänger. Weißt du eigentlich, wie lächerlich das ist, wie unreif und erbärmlich, Raffael Steinberg? Mein Mann hat da ein ganz anderes Format.«
»O ja, offenbar so viel Format, dass du ihn mit mir betrogen hast, wenn ich dich daran erinnern darf.«
Raffael wendet plötzlich den Blick von Clara ab, denn auf der anderen Straßenseite rudert eine Frau so wild mit den Armen herum, als ob sie zu ertrinken drohe. Als Cla ra hinüberschaut, hält sie plötzlich inne, als ob sie sich ertappt fühle.
»Kennst du die?«, fragt Raffael.
Clara antwortet ihm nicht. Aber wüsste sie nicht, dass Dorothee gerade in anderen Sphären auf Sri Lanka weilte, hätte sie die aufgeregte Frau im trüben Laternenlicht glatt für ihre beste Freundin halten können.
Das letzte Hemd
Ich bin auf Dienstreise in Paris. Nicht der schlechteste Ort für eine Tagung über das Beziehungsverhalten in der Tierwelt. Ich war schon ein paarmal dienstlich hier, zuletzt zu einem Kongress der Orgasmusforscher. Das Ah und Oh der Branche, wie diese Wissenschaftler intern ihre Disziplin nennen. Diesmal lockt mich ein Kongress der Verhaltensforscher an, Unterabteilung Paarbeziehungen. Das Thema lautet »Frühe Bindung und späte Sexualität in der Entwicklung vom Mollusken zum Men schen affen«. Ein ganz heißes Eisen, die Forschung hat sich lange nicht darangetraut.
Aber Marie Margot mit ihrer Gruppe aus Nizza ist auch da, dieses Team ist immer für eine Überraschung gut. Mal vergleichen die emsigen Südfranzosen Nacktschnecken mit Weinbergschnecken und untersuchen, welche Weichtiere häuslicher sind und den Partner eher zu sich einladen. Dann ahmen sie mit Taucheranzügen bekleidet das Brunftquaken der Weißbauchunken nach und ergründen quasi als Froschmänner im Feldversuch, ob Kröte oder Kröterich beim Liebesakt oben sitzen dürfen. Dazu steigt Margot schon mal selbst mit einem betörenden Quak-Quak auf den Lippen in
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